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Kurschatten: Ein Sylt-Krimi

Kurschatten: Ein Sylt-Krimi

Titel: Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Autoren: Gisa Pauly
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Aufmerksamkeit, die sie nach wie vor erregten, längst überdrüssig waren. Ihr entgegenkommendes Lächeln bestand nur noch aus einem Auseinanderziehen der Mundwinkel.
    Sogar Carlotta Capella, die gern über den Überdruss unwilliger Gesprächspartner hinwegsah, merkte, dass sie zu gehen hatte. Und da es ohnehin besser war, wenn sich in dieser Firma niemand an sie erinnerte, murmelte sie einen flüchtigen Abschiedsgruß und wandte sich der Tür zu, um das Baubüro zu verlassen.
    In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und eine junge Frau stellte sich Mamma Carlotta in den Weg. Oder vielmehr … sie stolperte ihr entgegen. Anscheinend hatte sie nicht mit der Türschwelle gerechnet, war mit der Fußspitze daran hängen geblieben und in den Raum getaumelt, den Oberkörper weit vorgereckt, mit rudernden Armen, die verzweifelt versuchten, irgendwo Halt zu finden.
    Den fanden sie an Mamma Carlottas Brust. Die hatte zum Glück geistesgegenwärtig zugegriffen, nahm nun die Nase aus der Fülle roter Locken und schob die junge Frau sanft auf die Beine zurück. »Opplà!« Lachend sah sie in das verwirrte Gesicht. »Haben Sie sich verletzt?«
    Die junge Frau starrte sie verwirrt an, dann löste sie ihre festgekrampften Finger aus Mamma Carlottas Jacke und lachte verlegen. »Nein! Sie hoffentlich auch nicht?«
    Mamma Carlotta lachte zurück und schüttelte den Kopf. »Nichts passiert!«
    Die beiden Frauen hatten erschrocken ihre Kaffeetassen abgestellt und einen Schritt nach vorn gemacht, als rechneten sie damit, Erste Hilfe leisten zu müssen. Nun ließen sie die Arme sinken und sahen die junge Frau ungeduldig an. »Sie wünschen bitte?«
    Die Frau mit dem roten Lockenkopf hatte sich wieder in der Gewalt. »Wiebke Reimers«, stellte sie sich vor und blickte dabei die elegantere der beiden Zwillingsschwestern an. »Von der Mattino! Wir hatten einen Termin, Frau Matteuer.«
    Mamma Carlotta, die gerade zur Türklinke greifen wollte, ließ die Hand wieder sinken. Das war Corinna Matteuer? Die Chefin von Matteuer-Immobilien? Die Frau, die von den Syltern gehasst wurde, die Halsabschneiderin, die Betrügerin?
    Corinna Matteuer runzelte die Stirn. »Übermorgen, wenn ich nicht irre. Dann wollten Sie mich in meinem Apartment besuchen.«
    »Genau! Ich wollte fragen, ob es dabei bleibt.«
    »Selbstverständlich.«
    Corinna Matteuers Zwillingsschwester warf Mamma Carlotta einen Blick zu, der unmissverständlich war. Eilig verließ sie das Baubüro, warf ein »Arrivederci!« zurück, wunderte sich aber nicht, als niemand ihr antwortete. Corinna Matteuer hatte sie längst vergessen. Gut so! Sollte sie demnächst auf das italienisch gefärbte Deutsch einer Demonstrantin aufmerksam werden, die »Nieder mit den Investoren!« brüllte, würde sie sich hoffentlich nicht an diese Begegnung erinnern.
    Mamma Carlotta stellte fest, dass ein Fenster des Baubüros nur angelehnt war und die Stimmen der Frauen hinausdrangen. In Carlotta Capella gab es von jeher eine Wissbegier, die ihr Lehrer früher gelobt hatte, weil sie sich für alles Neue interessierte und gern lernte. Längst aber wurde das, was dem Lehrer gefallen hatte, in ihrer Familie Neugier genannt, vor allem in Lucias Familie. Erik, der selbst höchstens von Berufs wegen neugierig war, um einen Fall zu lösen, hatte nicht das geringste Interesse an den Gewohnheiten seiner Mitmenschen und war niemals begierig, etwas zu erfahren, was ihn nichts anging. Für seine Schwiegermutter unbegreiflich! Vor einem Fenster, aus dem Stimmen herausdrangen, musste sie einfach stehen bleiben. Nicht, weil sie neugierig war! Nein, weil sie an ihren Mitmenschen interessiert war und gerne etwas von dem erfuhr, was andere umtrieb. Wenn Erik ihr Vorwürfe machte, hielt sie entgegen, dass sie nichts von den Gewissenskonflikten eines Geistlichen wüsste, wenn sie nicht gelegentlich die Selbstgespräche des Pfarrers belauscht hätte, und nur deshalb eine Ahnung von der Juristerei bekommen habe, weil es die Gewohnheit des Amtsrichters war, bei offenem Fenster seine Urteile zu diktieren.
    »Kann ich ein paar Fotos in diesem Büro machen?«, hörte sie Wiebke Reimers fragen.
    Corinna Matteuers Stimme klang ungehalten. »Wir hatten verabredet, dass ein Fotograf Ihrer Zeitschrift in mein Hamburger Büro kommt. Dieses Baubüro ist nur ein Provisorium.«
    »Gerade deswegen ja! Natürlich werden wir auch in Ihrer Firma in Hamburg fotografieren. Aber dieser Kontrast ist interessant für unsere Leser. Einerseits das
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