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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff
Autoren: Gmeiner-Verlag
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»Keine Sorge, der Doktor schwirrt immer noch hier herum.«
    »Streiten sie noch?«
    »Ich höre keinen Laut. Sie hocken im Nebenzimmer und halten Händchen, oder was sonst sie dort treiben.«
    Undine zog sich gern dorthin zurück, um Fachzeitschriften und Kataloge zu studieren. Dort standen nur der schwarze Le Corbusier-Sessel und ein Eileen-Gray-Glastisch.
    »Bist du absolut sicher, dass Regert noch bei ihr ist?«
    »Glaubst du mir nicht?«, empörte sich Nina. »Solange ich am Schreibtisch sitze, ist er nicht vorbeigekommen.«
    »Also gut! Halte die Augen auf und melde dich!«
    »Verlass dich auf mich!«
    Beruhigt durch Ninas Versprechen nahm Norma sich den Schreibtisch vor. Zwischen einem Stapel medizinischer Bände und Zeitschriften befanden sich die bekannten Bücher über Jawlensky, die sie selbst gelesen hatte. Die Pflichtlektüre eines Kunstliebhabers? Sie schaltete den Computer ein. Als die Eingabemaske auf dem Monitor erschien, fiel leise die Haustür ins Schloss.

35
    Der Rechner stand provisorisch aufgebaut auf einem Hocker neben dem Schreibtisch. Norma tastete auf der Rückseite nach dem Schalter und schaltete aus und sofort wieder ein. Nach dieser rüden Stromunterbrechung erstarb das Brummen, und der Rechner schwieg. Sie ging mit zwei flinken Schritten hinter dem Fenstervorhang in Deckung, der zum Glück bis zu den Dielen reichte. Der Samt schien vom Staub der Jahrhunderte gesättigt, roch muffig und war von Motten oder anderem Getier zerfressen. Doch im Augenblick hatte sie andere Sorgen. Eng an die Wand geschmiegt, spähte sie durch ein Loch im Stoff und hielt entsetzt den Atem an, als Regert das Zimmer betrat und den Schreibtisch ansteuerte, der nicht mehr war als eine Spanplatte auf zwei Böcken. Er rollte den Bürostuhl heran, der in dieser Umgebung seltsam exklusiv erschien, setzte sich und startete den Computer. Zwei Armlängen von Norma entfernt, wartete er auf das Hochfahren des Rechners und blätterte währenddessen in einer Zeitschrift.
    Als er aufblickte, wunderte er sich: »Wieso Fehlermeldung? Blöde Kiste!«
    Mit skeptischer Miene verfolgte er die Anzeige auf dem Bildschirm, schien schließlich zufrieden und gab das Passwort ein, wie Norma aus der Kürze der Buchstabenfolge schließen konnte und sehr bedauerte, dass sie ihm nicht über die Schulter blicken durfte. Hoffentlich hatte er nicht vor, die nächsten Stunden am Computer zu verbringen. Lange würde sie es hinter dem Vorhang nicht aushalten. Das Stillstehen kostete Kraft, und der Staub juckte in den Nasenflügeln. Eine dicke Spinne seilte sich ab und blieb in Augenhöhe dicht vor ihr hängen.
    Regert nahm das Handy, drückte die Tasten, wartete aber vergeblich auf seinen Gesprächspartner. »Blöde Kuh! Wirst schon sehen, was du davon hast, mich so abzufertigen!«
    Zornig nahm er sich die E-Mails vor, die nicht unbedingt seine Zustimmung fanden, wie Norma aus den gemurmelten Kommentaren schloss.
    Er griff erneut zum Telefon. »Dr. Regert hier. Ist Herr Karlinger zu sprechen? Danke, ich warte.«
    Er trommelte auf der Spanplatte herum, bis er sagte: »Hör zu, Jens! Danke für die Unterlagen, aber den Termin kann ich unmöglich einhalten. Der Text lässt sich nicht mir nichts, dir nichts übersetzen. Das Thema ist komplex, ich muss in den USA Rückfragen stellen. Ja, ich weiß, wie dringend … sicher, das Heft sollte in Druck. Bis übermorgen? Unmöglich! Wie, der Mayer will das schaffen? Der hat keinen blassen Schimmer von der Materie!«
    Er schleuderte das Telefon auf den Tisch und starrte es wütend an, während Norma sich ausmalte, wie er den Nachmittag und die halbe Nacht am Schreibtisch verbrachte und hochschreckte, weil es hinter dem Vorhang rappelte und ihm eine erschöpfte Norma vor die Füße kippte. Inständig hoffte sie, der Herr Karlinger möge den Auftrag dem ihr ebenso unbekannten Herrn Mayer übergeben. In der Hosentasche vibrierte das Handy. Vielleicht Nina, die mittlerweile mitbekommen hatte, dass Regert längst nicht mehr in der Galerie weilte. Selbst schuld! Auf ein Mädchen wie Nina verließ man sich besser nicht.
    Auch Regert erhielt einen Anruf. »Jens? In die Redaktion? Wieso? Grundsätzliches bereden? Also gut, bis dann.«
    Norma schickte einen von Herzen kommenden Dank an den Redakteur und konnte kaum erwarten, dass Regert das Haus verließ. Er beendete das Programm und beobachtete den Rechner, ob sich das Gerät dieses Mal korrekt abschaltete, bevor er sich endlich erhob. Sie horchte auf die Haustür.
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