Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kultur 08: Der Algebraist

Kultur 08: Der Algebraist

Titel: Kultur 08: Der Algebraist
Autoren: Iain Banks
Vom Netzwerk:
Archimandrit
seufzte noch tiefer. »Und ich leichtgläubiger alter Narr
werde den Empfehlungen folgen. Hältst du diese Entscheidung
für richtig?« Er hielt inne, als wartete er auf eine
Antwort. »Ja? Mir ist natürlich klar, dass du mir nicht
unbedingt deine ehrliche Meinung sagen würdest, wenn du eine
hättest, aber trotzdem… Nein? Ganz sicher?« Er fuhr
mit dem Finger über eine Narbe, die sich an einer Seite
über den Unterleib des Mannes zog, und überlegte kurz, ob
die Verletzung wohl das Werk seiner eigenen Verhörspezialisten
sein könnte. Sie kam ihm etwas zu tief vor, nicht
fachmännisch genug. Der Attentäter atmete schnell und
flach, ließ aber nicht erkennen, ob er überhaupt
zuhörte. Hinter den zugenähten Lippen schien er mit den
Zähnen zu knirschen.
    »Ich bin mir nämlich selbst nicht ganz sicher und
könnte einen Rat gut gebrauchen. Was wir vorhaben, muss ganz und
gar nicht zu unserer Sicherheit beitragen. Aber es ist notwendig.
Manche Dinge müssen einfach getan werden. Wie?« Er
ohrfeigte den Mann, aber nicht zu fest. Trotzdem zuckte der
Attentäter zusammen. »Keine Sorge. Ich kann dich mitnehmen.
Große Invasionsflotte. Reichlich Platz.« Er sah sich um.
»Ich finde, du hängst sowieso schon viel zu lange hier drin
fest; höchste Zeit, dass du mal rauskommst.« Wieder
lächelte der Archimandrit Lusiferus, obwohl es niemand sehen
konnte. »Nachdem ich mir so viel Mühe mit dir gegeben habe,
möchte ich dich doch auch sterben sehen. Ich glaube, ich nehme
dich tatsächlich mit. Nach Ulubis, nach Nasqueron.«
     
    Eines schönen Tages in der Zwischenjahreszeit Desuetude II
bestellte Fassin Taaks Onkel seinen gelegentlich etwas schwierigen
Neffen zu sich in den Saal des Vorläufigen Vergessens.
    »Neffe.«
    »Onkel? Du wolltest mich sprechen?«
    »Hmm.«
    Fassin Taak wartete höflich. Es war neuerdings nicht
ungewöhnlich, dass Onkel Slovius selbst nach einem so einfachen
und im Grunde redundanten Gespräch eine Weile schweigend und
scheinbar in Gedanken versunken vor sich hinschaute, als hätten
sie einander mit unerwartet tiefgründigen Worten viel Stoff zum
Nachdenken gegeben. Fassin war sich nie ganz schlüssig geworden,
ob diese Angewohnheit ein Beweis dafür war, mit welchem Eifer
sich sein Onkel seinen verwandtschaftlichen Pflichten widmete, oder
lediglich bedeutete, dass der alte Knabe senil wurde. Wie auch immer,
Onkel Slovius war (je nach Zeitrechnung) seit knapp drei oder mehr
als vierzehn Jahrhunderten das Oberhaupt des Seher-Sept Bantrabal,
und so war man sich allgemein einig, dass er in solchen Dingen
Nachsicht verdiente.
    Als guter Neffe, ergebenes Familienmitglied und gewissenhafter
Vertreter seines Standes respektierte Fassin seinen Onkel nicht nur
aus Prinzip, sondern auch aus Anhänglichkeit, wobei ihm durchaus
bewusst war, dass nach den Konventionen seiner Familie und seiner
Kaste die Stellung dieses Onkels samt dem damit verbundenen Ansehen
eines Tages auf ihn übergehen würde, und er nicht
ausschloss, dass seine Einstellung davon beeinflusst wurde. Die Pause
wollte nicht enden. Fassin deutete eine Verbeugung an. »Onkel?
Darf ich mich setzen?«
    »Wie? Gewiss doch.« Onkel Slovius hob eine
flossenförmige Hand zu einer vagen Geste. »Bitte.«
    »Ich danke dir.«
    Fassin Taak zog sich die Kniehosen hoch, nahm die weiten
Hemdsärmel zusammen und ließ sich mit gesittet
untergeschlagenen Beinen neben dem großen runden Becken nieder,
wo sein Onkel in einer leuchtend blauen, leicht dampfenden
Flüssigkeit schwamm. Onkel Slovius hatte vor einigen Jahren die
Gestalt eines Walrosses angenommen. Ein vergleichsweise schlankes
Walross mit rosig schimmernder bräunlicher Haut und
Stoßzähnen, die kaum länger waren als der
Mittelfinger einer Männerhand, aber dennoch ein Walross. Onkel
Slovius hatte keine Hände mehr wie früher –
stattdessen hingen diese Flossen an zwei Ärmchen, die seltsam
dünn und nutzlos aussahen. Die Finger waren zu Stummeln
verkümmert; nur noch eine Wellenlinie am Flossenrand. Gerade als
Slovius zum Sprechen ansetzen wollte, trat ein Mensch in schwarzer
Tracht an das Becken, kniete nieder, hielt seinen langen
Pferdeschwanz mit einer vielfach beringten Hand hoch, damit er nicht
nass wurde, und flüsterte dem Alten etwas ins Ohr. An der
dunklen Kleidung, dem langen Haar und den Ringen war zu erkennen,
dass es sich um einen der ranghöchsten Diener handelte. Fassin
hätte wissen müssen, wie er hieß, aber der Name
wollte ihm nicht einfallen.
    Er sah sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher