Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kultur 08: Der Algebraist

Kultur 08: Der Algebraist

Titel: Kultur 08: Der Algebraist
Autoren: Iain Banks
Vom Netzwerk:
sich genau wie Seher Taak, der schon so lange nicht mehr
unter uns weilte. (›Unter uns‹! – immer wieder der
gleiche schmerzliche Fehler. Es gab kein ›uns‹ mehr, nur
ein paar kärgliche Überreste in einem verlassenen Haus.)
Die Gestalt verschwand hinter einem dichteren Gebüsch,
würde aber bald wieder auftauchen, wenn sie dem Pfad weiter
folgte.
    Ich überlegte. Rückblickend war die Person auf dem Pfad
vielleicht doch um einiges älter als der Mann, den ich einst als
den ›jungen Herrn‹ betrachtet hatte. Sie ging leicht
vornübergebeugt, was Seher Taak nie getan hatte, und war
vielleicht etwas zu dünn, außerdem bewegte sie sich so
vorsichtig, als wäre sie verletzt. Jedenfalls schien es mir so,
ich würde allerdings nicht wagen, mich hier als Experten zu
bezeichnen. Ich bin ein bescheidener Gärtner, mehr nicht.
Meinetwegen Obergärtner, aber dennoch bescheiden. Hoffe ich.
    Die Gestalt tauchte tatsächlich wieder auf, aber nicht da, wo
ich sie erwartet hatte. Wer immer sie sein mochte, sie hatte einen
Seitenweg genommen und kam nun geradewegs auf mich zu. Nun hob sie
die Hand. Ich hob meine Kelle und winkte zurück. Es war Seher Taak! Oder – im Namen der Vernunft – jemand, der
sich alle Mühe gab, wie eine deutlich gealterte Ausgabe von ihm
zu erscheinen.
    Ich kletterte aus dem Teich, schüttelte mir die Chuvle-Ranken
von einigen Beinen, stapfte die Böschung hinauf und ging ihm
entgegen.
    »Junger Herr?«, sagte ich, ließ Kelle, Rechen und
Spaten fallen und streifte Erde und Pflanzenteile von meinen Armen
ab.
    Der Mann strahlte über das ganze Gesicht. »Ach, du bist
es, OG!« Er trug lange, weite Freizeitkleidung und sah gar nicht
wie ein Seher aus.
    »Sie sind es wirklich, Seher Taak! Wir fürchteten schon
das Schlimmste! Oh! Wie schön, dass wenigstens Sie noch am Leben
sind!«
    Ich muss gestehen, dass mich meine Gefühle
überwältigten. Ich klappte zusammen, ließ mich auf
alle achte nieder und betrachtete unverwandt den Kies auf dem
Weg.
    Er ging vor mir in die Hocke. »Wir neigen dazu, den Wald vor
lauter Bäumen nicht zu sehen, nicht wahr, OG?«
    »Junger Herr?«
    »OG, sag mir, dass du kein KI bist.«
    Ich schaute zu ihm auf. »Gefühle? War es das? Ich
hätte mir denken können, dass sie mich eines Tages verraten
würden.«
    Er lächelte. »Dein Geheimnis ist bei mir
sicher.«
    »Zunächst vielleicht schon.«
    »Nur Geduld, OG.«
    »Wollen Sie damit sagen, die Lage könnte sich
ändern? Oder dass ich einfach auf den Tod warten sollte? Wir
sterben nicht so leicht. Das ist uns nicht gestattet.«
    Sein Lächeln bekam einen gequälten Zug. »Die Lage
wird sich ändern, OG.«
    »Glauben Sie?«
    »Oh ja. Es ist so vieles in Bewegung geraten.«
    »Von einigem habe ich gehört. Man sagt, in Nasqueron
gäbe es eine Wurmloch-Mündung?« Ich schaute zu dem
großen Planeten auf, der über uns hing, und betrachtete
die breiten Gasströme, die bunten Reifen – cremeweiß
und braun, gelb, weiß, violett und rot –, die in alle
Ewigkeit gegenläufig zueinander rotierten.
    Fassin Taak nickte bedächtig. »Wir wissen jetzt, dass
wir alle die ganze Zeit über angeschlossen waren.« Er hob
einen Kieselstein auf und betrachtete ihn. »Vielleicht lassen
uns die Dweller ihr Wurmloch-Netzwerk sogar benutzen, wenn wir
höflich darum bitten. Wenigstens manchmal. Während wir hier
miteinander sprechen, tobt in der Dweller-Gesellschaft eine heftige
Debatte – die wahrscheinlich noch eine Weile andauern wird, wie
ich die Dweller kenne. Es geht darum, in welchem Ausmaß die
unsterbliche Bewunderung durch jede auch nur annähernd
empfindungsfähige Spezies in der übrigen Galaxis und
womöglich auch darüber hinaus zu einer allgemeinen
Erhöhung des Hintergrund-Kudos-Niveaus für alle Dweller
führen und damit ein triftiger Grund sein könnte, das
galaktische Transportsystem für alle zu öffnen.«
    »Das wäre wirklich eine gewaltige
Veränderung.«
    »Eine Veränderung obendrein, die nicht von der
Merkatoria kontrolliert werden dürfte.«
    »Sie wäre immer noch die Merkatoria.«
    »Auch sie kann sich ändern. Sie wird gar keine andere
Wahl haben. Geduld, OG.«
    »Wir werden sehen, aber ich danke Ihnen.«
    Ich sah ihn an. Fassin Taak war tatsächlich gealtert. Sein
Gesicht war verhärmt, die Fältchen um die Augen hatten sich
vertieft. »Ist hier soweit alles in Ordnung, OG?«
    »Im Garten schon. Das Haus… nun, damit habe ich nichts
zu tun.«
    Jetzt schlug er die Augen nieder. »Ich habe mich
umgesehen«,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher