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Kultur 08: Der Algebraist

Kultur 08: Der Algebraist

Titel: Kultur 08: Der Algebraist
Autoren: Iain Banks
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dem
Archimandriten die Kehle durchbeißen, und das hatte er ein
halbes Jahr zuvor auch versucht – hier im Felsenpalast bei einem
Festbankett zu Ehren des Präsidenten des Systems. (Ein
ausschließlich repräsentatives Amt, das auf
Lusiferus’ Betreiben stets von Personen in vorgerücktem
Alter und mit schwindenden Kräften ausgeübt wurde). Der
Attentäter hatte seinen Auftrag nur deshalb nicht erfolgreich
ausgeführt, weil der Archimandrit in fast schon paranoider
Voraussicht – und unter strenger Geheimhaltung – für
einen starken Personenschutz gesorgt hatte.
    Nach dem Scheitern des Anschlags hatte man den Gefangenen
routinemäßig, aber deshalb nicht weniger grausam gefoltert
und danach unter dem Einfluss einer ganzen Palette von
Wahrheitsdrogen und elektrobiologischen Substanzen verhört, aber
er hatte keine verwertbaren Aussagen gemacht. Sein Auftraggeber hatte
offensichtlich von Verhörtechnikern, die mindestens ebenso viel
von ihrem Fach verstanden wie die Untergebenen des Archimandriten,
alle belastenden Informationen aufs Sorgfältigste aus seinem
Bewusstsein entfernen lassen. Die Hintermänner hatten sich nicht
einmal die Mühe gemacht, dem Opfer, wie in solchen Fällen
üblich, falsche Erinnerungen einzupflanzen, um so jemanden aus
dem Umkreis des Hofs und des Archimandriten zu belasten.
    Lusiferus, ein sadistischer Psychopath mit blühender
Phantasie – was gibt es Schrecklicheres? –, hatte den
Attentäter letztendlich zum Tod durch seine eigenen Zähne
verurteilt – durch die Waffen also, mit denen er gekommen war.
Dazu hatte man ihm die vier Eckzähne entfernt, sie durch
biotechnische Eingriffe in unaufhörlich wachsende
Stoßzähne umgewandelt und wieder eingepflanzt. Bald hatten
die fingerdicken Hauer die oberen und unteren Kieferknochen
durchbrochen und, nachdem sie die Lippen durchbohrt hatten, ihr
Wachstum unerbittlich fortgesetzt. Die beiden unteren wölbten
sich nach oben über sein Gesicht und berührten nach ein
paar Monaten die Kopfhaut auf dem Schädeldach. Die beiden oberen
wuchsen wie zwei Krummsäbel nach unten und erreichten etwa zur
gleichen Zeit den Hals unterhalb des Kehlkopfs.
    Beide Zahnpaare waren genetisch so verändert, dass sie auch
dann nicht zu wachsen aufhörten, wenn sie auf Widerstand trafen.
Sie drangen also in den Körper des Attentäters ein. Ein
Paar bohrte sich langsam durch die knöchernen
Schädelplatten, das andere durchstieß weitaus
müheloser das weiche Gewebe der unteren Halspartie. Wo sich die
Zähne in den Hals des Attentäters gruben, verursachten sie
große Schmerzen, waren aber nicht unmittelbar lebensbedrohend;
wenn man sie gewähren ließ, würden sie nach einiger
Zeit im Nacken wieder austreten. Dagegen würden ihn die
Zähne, die sich durch den Schädel und ins Gehirn bohrten,
in Kürze, vielleicht schon in einem Monat, qualvoll
töten.
    Der bedauernswerte namenlose Attentäter konnte das nicht
verhindern, weil er an Händen und Füßen mit dicken
Bändern aus rostfreiem Stahl an die Wand gefesselt war, die jede
Bewegung unmöglich machten. Die Ernährung und alle anderen
Körperfunktionen wurden über verschiedene Schläuche
und Implantate gesteuert. Den Mund hatte man ihm zugenäht wie
dem Rebellenhäuptling Stinausin. In den ersten Monaten der
Gefangenschaft hatte der Ärmste jeden Schritt des Archimandriten
mit grimmigen, vorwurfsvollen Blicken verfolgt. Irgendwann hatte sich
der Archimandrit davon belästigt gefühlt und befohlen, dem
Mann auch die Augenlider zuzunähen.
    Hören könne er freilich noch, und man hatte Lusiferus
versichert, er sei auch nach wie vor bei Verstand. Deshalb kam der
Archimandrit manchmal zum Zeitvertreib herunter, um selbst in
Augenschein zu nehmen, wie weit die Zähne inzwischen in den
Körper des Elenden vorgedrungen waren. Da er dabei stets ein im
wahrsten Sinne des Wortes gebanntes – wenn auch notgedrungen
diskretes – Publikum vorfand, unterhielt er sich gerne mit dem
glücklosen Attentäter.
    »Guten Tag«, sagte Lusiferus freundlich. Hinter ihm
glitt die Tür des Aufzugs polternd zu. Der Raum unter dem
Arbeitszimmer war für den Archimandriten so etwas wie sein
Geheimversteck. Hier verwahrte er nicht nur den namenlosen
Attentäter, sondern auch verschiedene Andenken an frühere
Feldzüge, Beutestücke aus seinen vielen Siegen, Kunstwerke,
die er aus einem Dutzend verschiedener Sonnensysteme zusammengeraubt
hatte, eine Sammlung von zeremoniellen und Hochleistungswaffen,
verschiedene Kreaturen in
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