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Kultur 08: Der Algebraist

Kultur 08: Der Algebraist

Titel: Kultur 08: Der Algebraist
Autoren: Iain Banks
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um. Der Saal des Vorläufigen Vergessens war einer
der selten benützten Räume des Hauses und trat – wenn
man so sagen konnte – nur dann in Aktion, wenn sich ein
ranghohes Familienmitglied dem Ende seines Lebens näherte. Das
Becken nahm fast die gesamte Grundfläche des großen,
nahezu halbkugelförmigen Raums ein. Die Wände waren aus
Achat, so dünn, dass das Licht durchschien, und von
altersgeschwärzten silbernen Adern durchzogen. Die Kuppel war
Teil eines Rundtrakts des Herbsthauses. Der Familiensitz lag auf
Kontinent Zwölf des felsigen Planetenmonds ’glantine, der
die bunte Wolkenwirbelmasse des Gasriesen Nasqueron umkreiste wie ein
Pfefferkorn einen Fußball. Durch die transparente Mittelpartie
im Kuppeldach konnten Fassin und sein Onkel genau über sich ein
winziges Stück der riesigen Planetenoberfläche sehen.
    Dieser Teil von Nasqueron lag zurzeit im Tageslicht und
präsentierte sich als chaotische Wolkenlandschaft in Purpurrot,
Orange und Rostbraun. Durch die vielen Schatten gefiltert, fiel
tiefrotes Licht durch ’glantines violette, dünne gerade
noch atembare Atmosphäre und das verglaste Kuppeldach in den
Saal und auf das Becken, wo der schwarz gekleidete Diener Onkel
Slovius stützte und ihm einen Becher an die Lippen hielt, der
ein Erfrischungsgetränk oder eine Medizin enthalten mochte. Ein
paar Tropfen der klaren Flüssigkeit rannen dem Alten über
das graustoppelige Kinn in die Halsfalten, landeten in dem blauen
Wasser und erzeugten bei halber Standardschwerkraft hohe Wellen.
Onkel Slovius hatte die Augen geschlossen und grunzte leise vor sich
hin.
    Fassin sah sich um. Ein zweiter Diener trat mit einem Tablett mit
Getränken und Konfekt auf ihn zu, aber er wehrte lächelnd
mit erhobener Hand ab. Der Diener verneigte sich und zog sich
zurück. Fassin hob anstandshalber den Blick zum Kuppeldach mit
der Aussicht auf den Gasriesen, beobachtete aber aus dem Augenwinkel,
wie der erste Diener dem alten Mann mit einem ordentlich gefalteten
Tuch den Mund abtupfte.
    Majestätisch und trotz aller Turbulenzen von
unerschütterlicher Gelassenheit drehte sich Nasqueron wie eine
riesige glühende Kohle fast unmerklich um sich selbst.
    Der Gasriese war der größte Planet im Ulubis-System,
das, fünfundfünfzigtausend Jahre vom nominellen Zentrum der
Galaxis entfernt, in einem äußeren, zu den Südlichen
Riffranken gehörigen Strang des Quaternärstroms lag.
Abgeschiedener konnte ein System, das noch zur großen Linse
gehören wollte, kaum sein.
    Es gab, besonders jetzt nach dem Krieg, verschiedene Grade von
Abgeschiedenheit, doch Ulubis lag nach jeder Definition fernab von
der Welt. Ein System am äußersten Rand der Galaxis –
so weit unterhalb der galaktischen Ebene, dass sich die letzten
Spuren von Sternen und Gasen bereits in die Weiten des Alls
verflüchtigten – war aber nicht zwangsläufig
unerreichbar, vorausgesetzt es lag in der Nähe eines
Arteria-Portals.
    Arteria – Wurmlöcher – und ihre Aus- und
Eingänge, die Portale, waren für die galaktische
Gemeinschaft unersetzlich; sie ermöglichten es, fast ohne
Zeitverlust von einem Sonnensystem zum anderen zu gelangen, anstatt
mit weniger als Lichtgeschwindigkeit durch das Weltall kriechen zu
müssen. Ähnlich rasant und dramatisch war ihre Wirkung auf
den Status, die Wirtschaft und sogar die Moral eines Systems. Ohne
Portal hockte man wie auf einem kleinen Dorf oder in einem öden,
grauen Tal fest und kam womöglich sein Lebtag lang nicht weg.
Doch kaum wurde ein Wurmloch-Portal installiert, befand man sich wie
in einer riesigen, aufregenden Glitzerstadt voller Leben und mit
unbegrenzten Möglichkeiten.
    Es gab nur eine Möglichkeit, ein Arteria-Portal von einem Ort
zu anderen zu bringen: man musste es auf ein Raumschiff verladen und
mit Unterlichtgeschwindigkeit an sein Ziel befördern. Das andere
Ende blieb – im Allgemeinen – am Ausgangspunkt verankert.
Wenn also das Wurmloch zerstört wurde – und Wurmlöcher
konnten theoretisch überall, praktisch aber nur an den Enden,
den Portalen, zerstört werden – dann war mit einem Schlag
alles vorbei und man saß wieder in seinem kleinen Dorf am Ende
der Welt.
    Ulubis hatte vor mehr als drei Milliarden Jahren im damals
›Neuen Zeitalter‹ erstmalig einen solchen Anschluss an die
übrige Galaxis bekommen. In jenen Tagen war es ein
vergleichsweise junges System gewesen, erst wenige Milliarden Jahre
alt, aber bereits mit einer großen Artenvielfalt
bevölkert. Die Arteria-Verbindung war
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