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Kuessen kann schon mal passieren

Kuessen kann schon mal passieren

Titel: Kuessen kann schon mal passieren
Autoren: Susanne Fuelscher
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Brüche. Finito, aus, Ende. Günther hatte sich eine andere organisiert oder umgekehrt, so ganz klar war das nicht. Mama heulte Rotz und Wasser und schmiss mit Gegenständen um sich. Ich hätte ihr einen neuen Mann an ihrer Seite so gegönnt. Stattdessen saß sie nun vor den Scherben ihrer Liebe, aber anstatt einen Schlussstrich zu ziehen und von vorne anzufangen, quälte sie sich mit den Erinnerungen an glückliche Tage. Schaute sich Fotos an, trank Günthers Lieblingswein, hörte seine Lieblingsmusik.
    Zum Glück war Anna Pisani da, die jetzt häufiger zum Trösten zu uns rüberkam und zudem die aberwitzige Idee hatte, mit Mama, Luca und mir für ein paar Tage nach Venedig zu fahren. Wegen des Geldes, meinte sie, sollten wir uns keine Gedanken machen. Ihr Exmann hätte sie ausbezahlt, das Geld wäre schon auf ihrem Konto, also könne sie uns ebenso gut einladen.
    Â»Das kommt ja gar nicht in Frage«, wehrte Mama ab.
    Â»Warum denn nicht?«, entgegnete Anna. »Ihr würdet mir damit wirklich eine Freude machen.«
    Â»Ich kann es einfach nicht annehmen, okay?«
    Â»Und wenn ich darauf bestehe?«
    Â»Bist du die längste Zeit meine Freundin gewesen.«
    So ging das Gekabbel hin und her, während ich nur einen Gedanken im Kopf hatte. Venedig im November … Was für ein Traum!
    Ich erzählte Filippo davon, doch der fand die Idee weniger traumhaft. Nicht weil er es mir nicht gönnte, sondern weil er am liebsten selbst mit mir gefahren wäre. Bloß wir beide, Gondelfahrten im Mondschein, Prosecco auf der Piazza San Marco  – so stellte er sich das vor. Das überstieg wiederum meine Fantasie, denn ich fand, dass gerade ein ziemlicher Kitschfilm in seinem Kopf ablief.
    Tagelang bearbeitete Anna Pisani meine Mutter – ohne Erfolg. Luca schaltete sich ein und versuchte Mama ebenfalls zu überzeugen, aber sie blieb stur wie ein Esel. Geld von ihrer neuen Freundin annehmen? Niemals.
    Am Ende sprach Onkel Paul ein Machtwort. Er bestand auf den Tapetenwechsel, andernfalls würde er nie wieder ein Wort mit Mama reden. Und wenn sie Großzügigkeit nicht ertragen könne, sollten wir uns das Geld eben zu gleichen Teilen von ihm und Anna leihen und später abstottern. Ein Vorschlag, den meine Mutter endlich akzeptabel fand. Zum ersten Mal seit ihrer Trennung zeigte sich sogar wieder ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht. Als Erstes fiel ich ihr um den Hals, dann meinem Onkel und versprach, ebenfalls meinen Teil zur Reise beizutragen. Ich strich mir selbst mein Taschengeld und wollte ab sofort bei Onkel Paul im Blumenladen aushelfen. Hauptsache, ich würde die Stadt der tausend Brücken zu sehen bekommen. Filippo, Jade, der Deich und die Schafe sollten ruhig mal eine Weile auf mich verzichten.
    ***
    Das Großereignis des Herbstes war Davids Geburtstag am 31. Oktober. Keiner wusste, wie oft er schon sitzengeblieben war und die Schulen gewechselt hatte, man munkelte allerdings, dass er bereits volljährig wurde. Anlass genug, dies auf der Jacht seines megareichen Vaters in Travemünde zu feiern. Mit einem Schickimicki-Büffet, DJ und Bus-Shuttle. Ich fand das zwar alles reichlich übertrieben, ließ mich aber trotzdem gerne einladen – zumal ich meinen Freund mitbringen durfte. Einzige Bedingung war eine stilechte Halloween-Verkleidung. Weil ich kein Geld hatte, kramte ich meinen alten Vampirumhang, der zum letzten Mal in der Grundschule zum Einsatz gekommen war, aus den Tiefen unserer Altkleidertruhe. Dazu blutrot geschminkte Lippen – das musste reichen. Filippo und Luca hatten vor, wahlweise als Tod, Grufti oder Mumie zu gehen. Ich war gespannt, wie das aussehen würde, doch als wir am späten Nachmittag des 31. Oktober in den Bus nach Travemünde stiegen, trugen sie lediglich schwarze Jeans und T-Shirts, waren weiß geschminkt und hatten Gammelgebisse aus einem Scherzartikel-Laden im Mund.
    Jade hatte von uns allen den meisten Aufwand betrieben. Wie die Jungs war sie von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, mit dem entscheidenden Unterschied, dass überall an ihren Klamotten Federn klebten. An ihrer Schläfe sickerte Blut aus einer eitrigen Wunde, die zwar bloß geschminkt war, aber so echt aussah, dass mir fast schlecht wurde. Sie sei eine Henne in einer Legebatterie, erklärte sie uns, als wir sie irritiert anstarrten. Luca gluckste, Filippo deutete Würgegeräusche an, nur
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