Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)
Autoren: Roald Dahl
Vom Netzwerk:
Wollen Sie mich anhören?»
    «Meinetwegen, wenn Ihnen so viel daran liegt. Schaden wird’s mir ja wohl nicht.»
    «Im Gegenteil, es kann Ihnen viel nützen – vor allem nach Ihrem Tode .»
    Sicherlich hatte er erwartet, ich würde erschrecken, aber irgendwie war ich vorbereitet. Ich sah ihm ruhig ins Gesicht und beobachtete, wie sein freundliches Lächeln auf der linken Mundseite die goldene Klammer entblößte, die im Oberkiefer um den Eckzahn griff.
    «Ja, William, es handelt sich um eine Sache, an der ich seit Jahren im Stillen arbeite. Ein oder zwei Kollegen haben mir hier im Hospital geholfen, vor allem Morrison, und wir können eine Anzahl recht erfolgreicher Versuche an Tieren verzeichnen. Nun bin ich so weit, dass ich mich an einen Menschen wagen kann. Es ist eine grandiose Idee, die Ihnen zuerst etwas ausgefallen erscheinen mag, doch vom Standpunkt des Chirurgen gibt es keinen Grund, warum sie nicht mehr oder weniger ausführbar sein sollte.»
    Landy beugte sich noch weiter vor und stützte beide Hände auf meine Bettkante. Er ist ein gutaussehender Mann, einer von der knochigen Sorte, und er hat nicht den üblichen Arztblick. Du kennst diesen Blick, die meisten haben ihn. Aus ihren Augäpfeln schimmert einem so etwas wie ein melancholisches elektrisches Signal entgegen. Nur ich kann dich retten , bedeutet das. John Landys Augen aber waren groß und strahlend, und es tanzten kleine Begeisterungsfunken darin.
    «Vor ziemlich langer Zeit», erzählte er, «habe ich einen kurzen medizinischen Film gesehen, der aus Russland stammte. Eine recht grausige, aber hochinteressante Angelegenheit. Man hat einen Hundekopf gänzlich vom Körper abgetrennt, jedoch den Blutkreislauf durch Arterien und Venen vermittels eines künstlichen Herzens aufrechterhalten. Worauf ich hinauswill, ist Folgendes: Der Hundekopf, der ganz für sich auf einer Art Brett ruhte, lebte. Das Gehirn funktionierte, wie durch mehrere Versuche bewiesen wurde. Schmierte man zum Beispiel dem Hund Fressen ums Maul, so kam die Zunge heraus und leckte es ab. Ging jemand durchs Zimmer, so folgten ihm die Hundeaugen.
    Dieses Experiment lässt ohne weiteres den Schluss zu, dass Kopf und Gehirn nicht unbedingt mit dem übrigen Körper verbunden sein müssen, um weiterzuleben – vorausgesetzt natürlich, dass für eine Zufuhr von genügend sauerstoffhaltigem Blut gesorgt wird.
    Nun, als ich den Film sah, kam mir der Gedanke, nach dem Tode eines Menschen sein Gehirn aus dem Schädel herauszulösen und es als unabhängige Einheit für unbegrenzte Zeit am Leben und in Funktion zu erhalten. Zum Beispiel Ihr Gehirn nach Ihrem Tode.»
    «Davon will ich nichts hören», sagte ich.
    «Unterbrechen Sie mich nicht, William. Lassen Sie mich ausreden. Wie meine anschließenden Experimente ergeben haben, ist das Gehirn ein besonders selbstgenügsames Objekt. Es stellt seine eigene Hirnrückenmarkflüssigkeit her. Die magischen Prozesse des Denkens und Erinnerns, die in ihm vorgehen, werden offenbar nicht durch das Fehlen der Gliedmaßen, des Rumpfes oder sogar des Schädels beeinträchtigt, vorausgesetzt, wie ich bereits sagte, dass man die richtige Art sauerstoffhaltigen Blutes unter den entsprechenden Bedingungen hineinpumpt.
    Und jetzt, mein lieber William, denken Sie einen Augenblick an Ihr eigenes Gehirn. Es ist in tadellosem Zustand. Und vollgestopft mit allem, was Sie in Ihrem Leben gelernt haben. Jahrelange Arbeit war erforderlich, es zu dem zu machen, was es ist. Es hat gerade angefangen, erstklassige eigene Ideen zu produzieren. Und nun soll es bald mit Ihrem übrigen Körper sterben, nur weil Ihre alberne kleine Bauchspeicheldrüse von Krebs zerfressen wird.»
    «Nein», sagte ich, «danke. Sprechen Sie nicht weiter. Ich finde den Gedanken einfach widerlich, und selbst wenn Ihnen das Experiment gelänge, was ich bezweifle, hätte es gar keinen Sinn. Wozu sollte man denn mein Gehirn am Leben erhalten, wenn ich nicht mehr imstande wäre, zu sprechen, zu sehen, zu hören oder zu fühlen? Wirklich, ich könnte mir nichts Unangenehmeres vorstellen.»
    «Ich glaube aber, es wäre möglich für Sie, mit Ihrer Umwelt in Verbindung zu bleiben», antwortete Landy. «Und wahrscheinlich bringen wir es sogar fertig, Ihnen eine gewisse Sehkraft zu bewahren. Aber gehen wir langsam vorwärts. Auf das alles komme ich später zurück. Fest steht jedenfalls, dass Sie bald sterben werden, und mein Plan geht nicht darauf aus, Sie vor Ihrem Tode auch nur anzurühren. Nehmen Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher