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Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)
Autoren: Roald Dahl
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und der beiden Venen sogleich wieder mit der Maschine verbinden kann. Dieses Ausschälen ist eine ungemein umständliche und komplizierte Prozedur, weil man mit aller Vorsicht eine Menge Knochen wegmeißeln, viele Nerven abtrennen sowie zahlreiche Blutgefäße durchschneiden und abbinden muss. Es gibt nur eine Möglichkeit, dies mit einiger Hoffnung auf Erfolg zu tun: Langsam den Rest des Schädels entfernen, indem man ihn wie die Schale einer Orange abpellt, bis auch unten und an den Seiten die Gehirnhülle freigelegt ist. Die Schwierigkeiten sind weitgehend technischer Natur, und darüber brauche ich mich hier nicht auszulassen. Auf jeden Fall traue ich mir zu, eine solche Operation durchzuführen. Es ist einfach eine Frage chirurgischer Geschicklichkeit und Geduld. Vergessen Sie außerdem nicht, dass ich reichlich Zeit hätte, so viel Zeit, wie ich wollte, weil ja das künstliche Herz fortwährend pumpen und das Gehirn am Leben erhalten würde.
    Nehmen wir an, es sei mir geglückt, Ihren Schädel abzuheben und auch alles zu entfernen, was die Gehirnseiten umgibt. Ihr Gehirn ist also nur noch an der Basis mit dem Körper verbunden, hauptsächlich durch das Rückenmark und durch die beiden großen Venen und die vier Arterien, die es mit Blut versorgen.
    Was kommt nun?
    Ich trenne die Wirbelsäule dicht über dem ersten Nackenwirbel ab, wobei ich sehr darauf achte, nicht die beiden vertebralen Arterien zu verletzen, die dort verlaufen. Bedenken Sie aber, die Dura, also die äußere Hirnhaut, ist jetzt an der Stelle, wo das Rückenmark in das Gehirn übergeht, offen, sodass ich diese Öffnung mit einer Naht schließen muss. Kein Problem.
    Und damit ist alles bereit für den letzten Schritt. Neben mir steht auf dem Tisch eine besonders geformte Schale, gefüllt mit der sogenannten Ringer-Lösung, einer Flüssigkeit, die wir in der Neurochirurgie zur Spülung benutzen. Nun löse ich das Gehirn vollends heraus, indem ich die Arterien und Venen durchtrenne. Ich hebe es dann einfach mit den Händen hoch und lege es in die Schale, und das ist bei dem ganzen Vorgang der einzige Augenblick, in dem die Blutzufuhr unterbrochen ist. Liegt Ihr Gehirn aber erst in der Schale, so brauche ich nur ein paar Sekunden, um die Stümpfe der Arterien und Venen wieder mit dem künstlichen Herzen zu verbinden.
    So weit bin ich nun also mit Ihnen», fuhr Landy fort. «Ihr Gehirn liegt in der Schale, es lebt, und alles spricht dafür, dass es noch sehr lange am Leben bleiben wird, viele Jahre vielleicht, sofern wir die Maschine in Gang halten und für die Blutzufuhr sorgen.»
    «Aber würde es funktionieren ?»
    «Mein lieber William, wie soll ich das wissen? Ich kann Ihnen ja nicht einmal versprechen, dass es je wieder zum Bewusstsein kommen wird.»
    «Und wenn das der Fall wäre?»
    «Ja, dann! Das wäre phantastisch!»
    «Wirklich?» Ich muss zugeben, dass ich meine Zweifel hatte.
    «Aber natürlich! Stellen Sie sich doch vor, wenn es da liegt, mit all Ihren tadellos funktionierenden Denkprozessen und mit Ihrem Gedächtnis …»
    «Und ohne die Fähigkeit, zu sehen, zu fühlen, zu schmecken, zu hören oder zu reden», sagte ich.
    «Oh!», rief er. «Mir war doch gleich so, als hätte ich etwas vergessen. Das Auge – davon habe ich noch nicht gesprochen. Hören Sie zu. Ich will versuchen, einen Ihrer Sehnerven sowie das Auge selbst intakt zu lassen. Der Sehnerv, ein kleines Ding, nicht dicker als ein Bleistift, erstreckt sich vom Gehirn zum Auge, ist also ungefähr zwei Zoll lang. Das Schöne daran ist, dass er eigentlich gar kein Nerv ist, sondern eine Ausstülpung des Gehirns. Die Dura begleitet ihn und ist mit dem Augapfel verbunden. Die Rückseite des Auges steht daher in sehr engem Kontakt mit dem Gehirn und wird von der Hirnrückenmarkflüssigkeit erreicht.
    Das alles kommt mir sehr zustatten, und ich halte es für durchaus möglich, dass ich eines Ihrer Augen retten kann. Ich habe sogar schon eine kleine Plastikschachtel für den Augapfel konstruiert. Sie soll die Augenhöhle ersetzen, und wenn Ihr Gehirn in der mit Ringer-Lösung gefüllten Schale liegt, wird Ihr Auge in seiner Schachtel auf der Flüssigkeit schwimmen.»
    «Und die Decke anstarren», fügte ich hinzu.
    «Ja, das ist anzunehmen. Ich fürchte, es werden keine Muskeln mehr da sein, die es bewegen können. Vielleicht ist es aber ganz amüsant, so ruhig und bequem in einer Schale zu liegen und in die Welt zu gucken.»
    «Sehr lustig», sagte ich. «Wie wäre es, wenn
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