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Küss den Wolf

Küss den Wolf

Titel: Küss den Wolf
Autoren: Gabriella Engelmann
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Mädchen neben sich. »Es ist ziemlich spannend!«, murmelte ich.
    »Also ich guck ja lieber Filme«, antwortete er und ich knurrte in Gedanken: Lass mich in Ruhe lesen, ist gerade so dramatisch! Laut sagte ich: »Das kann ich mir gut vorstellen.« Das war ein Fehler, wie sich zwei Sekunden später herausstellte.
    »Was kannst du dir gut vorstellen?«, fragte er, jetzt noch deutlicher daran interessiert, mit mir ins Gespräch zu kommen.
    »Na, dass du nicht so gern liest. Wenn du das nämlich tun würdest, wüsstest du, dass man bei einem spannenden Buch nicht gern unterbrochen wird.«
    »Also magst du keine Filme.«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    Im Gegenteil! Ich freute mich schon wie ein kleines Kind darauf, dass ich bald wieder im Abaton-Kino jobben und die neuesten Filme gucken durfte.
    »Würdest du dann mal mit mir ins Kino gehen?«
    Ich konnte gerade noch verhindern, dass mir die Kinnlade herunterklappte. Natürlich kam es ab und zu vor, dass ich angequatscht wurde, aber eigentlich nur, wenn ich mit den Maki-Girls im Schanzenviertel unterwegs war, wo fast alle auf Flirtmodus programmiert waren. Alleine passierte das so gut wie nie.
    »Welchen Film möchtest du denn mit mir schauen?«
    Der Typ grinste und sah dabei ein bisschen aus wie Robert Pattinson aus Twilight , was mich zugegebenermaßen nicht ganz kaltließ.
    »In zwei Wochen läuft Red Riding Hood an, das würde doch passen. Ich heiße übrigens Manuel. Also, Rotschopf: Hast du Lust, ein Abenteuer zu wagen und mit mir ins Kino zu gehen?« Ich wusste nicht, ob ich Manuel charmant finden sollte oder einfach nur dummdreist. »Was hättest du mir denn vorgeschlagen, wenn nicht gerade zufällig dieser Film anlaufen würde?«, fragte ich scheinheilig.
    »Vielleicht so etwas wie Scream 4? Du scheinst dich ja gern zu gruseln…«
    Okay, durchgefallen!
    »Tut mir leid, aber du hast offenbar einen komplett falschen Eindruck von mir«, entgegnete ich, klappte das Buch zu und verstaute es in meinen Rucksack. Dann ging ich ohne ein weiteres Wort zu meinem Fahrrad, das ich ordnungsgemäß an der Stange in der Mitte des Waggons befestigt hatte. Warum mussten die meisten Jungs nur so hohl sein? »Schade, Rotkäppchen, hätte echt nett mit uns werden können. Aber es soll wohl nicht sein. Ich wünsch dir trotzdem einen schönen Samstag!«, rief Manuel mir hinterher. Ich knurrte »ebenso« und war froh, als sich die Tür nach einer gefühlten Ewigkeit endlich öffnete und ich nach draußen konnte.
    »Da bist du ja, mein Schätzchen«, rief Theodora, die heute eher aussah wie Mitte fünfzig statt neunundsechzig. Ihre blauen Augen blitzten, ihr Teint war frisch und rosig, das silbergraue Haar schimmerte. Sie trug eine enge schwarze Hose und einen hellgrauen Pulli – beides stand ihr ausgezeichnet. Anstelle einer Antwort fiel ich ihr um den Hals und wir blieben eine ganze Weile eng umschlungen an der Türschwelle des Waldhäuschens stehen.
    »Na, da freut sich aber jemand!«, sagte Irene, Omas nette Nachbarin, und gab mir die Hand, nachdem Theodora mich losgelassen hatte. »Und wie es scheint, komme ich gerade richtig.« Mit diesen Worten balancierte sie eine gläserne Kuchenschale in die gemütliche Wohnküche und stellte sie auf den alten, wurmstichigen Holztisch. »Mein Kühlschrank ist dummerweise kaputt«, erklärte Oma und nahm der Nachbarin auch noch ein Gefäß mit steif geschlagener Sahne ab. »Irene ist so nett, alles für mich aufzubewahren, bis der neue geliefert wird.«
    »Mhm, Rotkäppchentorte«, freute ich mich und holte Teller, Becher, Kuchengabeln und Servietten aus dem Küchenbord. Nachdem wir eine Weile geplaudert und Omas Spezialität genossen hatten, gingen wir hinaus. Die grauen Wolkenberge hatten sich aufgelöst und der Sonne Platz gemacht. Trotzdem war es immer noch ziemlich kühl. Der Garten war das Herz des Waldgrundstücks und lag ein wenig abschüssig hinter dem Haus. Demnächst würden hier Primeln, Fingerhut, Schlüsselblumen, Maiglöckchen, Tulpen und Ranunkeln blühen – Feenblumen, wie Oma sie nannte. Früher hatte sie mir immer erzählt, dass Tulpen die idealen Bettchen für Feenbabys seien. »Du hast es so schön hier«, sagte ich wohlig seufzend und ließ meinen Blick über das kleine Paradies wandern. Es war Oma gelungen, dem Garten eine ganz persönliche Handschrift zu verleihen, obwohl es auf den ersten Blick so aussah, als wüchse jede Pflanze hier rein zufällig. Nichts war zurechtgestutzt, alles konnte sich frei entfalten.
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