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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab
Autoren: Lisa Gardner
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die Stadt meiner Kindheit zurückzukehren hatte mich nicht vor Angst gelähmt. Ganz im Gegenteil. Ich fühlte mich sicher in der Masse; es machte mir Spaß, durch den Public Garden zu schlendern oder mir die Schaufenster in der Newbury Street anzusehen. Ich mochte sogar den Herbst, in dem die Luft nach Eichenlaub roch und die Nächte kalt wurden. Ich fand ein kleines Apartment im North End, von wo aus ich zu Fuß zu Mike's gehen und Cannoli essen konnte. Ich hängte Vorhänge auf und legte mir einen Hund zu. Abends stand ich an meinem vergitterten Fenster, hielt die Phiole mit der Asche meiner Eltern in der Hand und beobachtete die Fremden, die auf der Straße unterwegs waren.
    Ich war erwachsen und hatte nichts mehr zu befürchten – das redete ich mir ein. Mein Vater hatte meine Vergangenheit bestimmt, doch die Zukunft gehörte mir, und ich würde nicht mehr weglaufen. Ich hatte mir Boston aus gutem Grund ausgesucht und würde bleiben.
    Dann kam plötzlich alles zusammen. Ich nahm den Boston Herald in die Hand und las es auf der ersten Seite: Nach fünfundzwanzig Jahren hatte man mich tot aufgefunden.

2
    Das Telefon klingelte.
    Er rollte auf die Seite und drückte sich das Kissen aufs Ohr.
    Das Telefon klingelte.
    Er schleuderte das Kissen weg, zog stattdessen die Decke über den Kopf.
    Das Telefon klingelte.
    Ächzend und widerwillig öffnete er ein Auge. Zwei Uhr zweiunddreißig – mitten in der Nacht. »Verdammt …« Er schlug mit der Hand aufs Telefon, hantierte mit dem Hörer herum und drückte ihn schließlich ans Ohr. »Was ist?«
    »Freundlich wie immer.«
    Bobby Dodge, seit kurzem Detective der Staatspolizei von Massachusetts, stöhnte lauter. »Was soll das?«
    »Kennst du die ehemalige psychiatrische Klinik in Mattapan?«, fragte D. D. Warren, Detective der Polizei von Boston, am anderen Ende der Leitung.
    »Warum?«
    »Wir haben dort einen Tatort.«
    »Du meinst, die Bostoner Polizei hat einen Tatort. Schön für dich. Ich schlafe weiter.«
    »Ich erwarte dich dort in dreißig Minuten.«
    »D.D ….« Bobby richtete sich mühsam auf – mittlerweile war er richtig wach und stinksauer. »Du und deine Kumpels wollen einen Neuling von der Staatspolizei ärgern, was? Such dir Leute aus deiner Abteilung aus. Ich bin zu alt für diesen Mist.«
    »Ich will, dass du dir das ansiehst«, erwiderte sie. »In dreißig Minuten, Bobby. Schalt weder den Funk noch das Radio ein. Ich möchte, dass du unvoreingenommen bist.« Es entstand eine Pause, dann fügte sie sanfter hinzu: »Mach dich auf was gefasst. Diese Sache ist verdammt hässlich.«
    Für Bobby Dodge war es nichts Neues, aus dem Bett geklingelt zu werden. Er war knapp acht Jahre Scharfschütze bei der Massachusetts State Police und rund um die Uhr sieben Tage die Woche in Bereitschaft gewesen. Naturgemäß wurde er hauptsächlich an Wochenenden und Feiertagen zu Einsätzen gerufen. Damals hatte ihn das nicht gestört. Im Gegenteil – die Herausforderung und das Gefühl, Teil eines Teams zu sein, hatten ihm gefallen.
    Allerdings hatte seine Karriere vor zwei Jahren einen Knick gemacht. Bobby erschoss einen Mann. Letzten Endes sah das Department den Finalschuss als gerechtfertigt an, danach jedoch war nichts mehr so wie früher. Vor sechs Monaten, als er um seine Entlassung ersuchte, hielt ihn niemand zurück. Und kürzlich, nachdem er die Prüfung zum Detective geschafft hatte, waren sich alle einig: Bobbys Karriere konnte einen Neuanfang vertragen.
    Und jetzt war er hier, seit zwei Tagen Detective im Morddezernat, an den Ermittlungen eines halben Dutzends aktueller, aber nicht dringender Fälle beteiligt. Er hatte gerade genug zu tun, um nicht faul herumzusitzen. Sobald er bewiesen hatte, dass er kein Trottel war, würden sie ihm vielleicht die Leitung eines Falles übertragen.
    Nächtliche Anrufe gehörten zum Job. Nur sollte dieser Anruf von einem Officer der State Police kommen, nicht von einem Bostoner Detective.
    Bobby runzelte die Stirn und zerbrach sich den Kopf, was D. D. im Sinn haben könnte. Im Allgemeinen verabscheuten es die Bostoner Polizisten, Hilfe der State Police bei den Ermittlungen annehmen zu müssen. D. D. hatte sich aber direkt an ihn gewandt. Während sich Bobby anzog, kam ihm der Gedanke, dass sie nicht auf staatliche Unterstützung aus war. Sie brauchte seine Hilfe.
    Das weckte seinen Argwohn.
    Ein letztes Mal ging er zur Kommode, und im schwachen Schein der Nachtlampe fand er seine Dienstmarke, den Pager, die Glock.40 und
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