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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab
Autoren: Lisa Gardner
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anonymen Grab bestattet wurden.
    Sechstens: Mit der Vergangenheit abzuschließen ist schwerer, als viele denken. Heute Morgen haben wir Dori zu Grabe getragen. Mit wir meine ich ihre Eltern, mich und zweihundert Menschen, die Anteil an ihrem Schicksal nahmen. Die meisten von ihnen kannten Dori nicht, wurden jedoch von den Umständen ihres Todes berührt. Ich habe gesehen, wie ehemalige Polizisten aus Lawrence in Tränen ausbrachen genau wie die Nachbarn, die vor fünfundzwanzig Jahren an den vergeblichen Suchaktionen in den Wäldern beteiligt gewesen waren. Auch die Sondereinheit der Bostoner Polizei nahm an der Trauerfeier teil. Danach schüttelten Mr. und Mrs. Petracelli jedem Officer die Hand. Als Mrs. Petracelli zu D. D. kam, schlang sie die Arme um sie, und beide Frauen weinten.
    Mrs. Petracelli hat mich gebeten, ein paar Worte zu sagen. Keinen Nachruf; das übernahm der Priester. Sie hoffte, ich würde den Menschen von Dori erzählen, wie ich sie gekannt hatte. Erst hielt ich das für eine gute Idee. Und ich dachte, ich könnte das. Aber als es dann so weit war, brachte ich kein Wort heraus. Die Gefühle, die mich durchdrangen, waren so stark, dass ich sie nicht mitteilen konnte.
    Ich glaube, ich sollte auf dieses Filmangebot eingehen. Das Geld würde ich dann Mrs. Petracellis Stiftung zukommen lassen. Ich wünsche mir, dass mehr vermisste Kinder zu ihren Eltern zurückgebracht werden können, dass mehr Sandkastenfreunde die Gelegenheit haben zu sagen: »Ich liebe dich, es tut mir leid. Leb wohl.«
    Die Wahrheit macht nicht frei.
    Nein, die Wahrheit sagt einem nur, was war. Sie erklärt die Alpträume, die ich drei-, viermal in der Woche habe. Sie erklärt den Berg an Tierarzt- und Arztrechnungen, die mir noch immer ins Haus flattern. Sie sagt mir, warum ein UPS-Mann, den ich glaubte nur flüchtig zu kennen, eine Amy Grayson als Alleinerbin eingesetzt hat. Sie erklärt, warum derselbe UPS-Mann die ersten fünfzehn Jahre in seinem Job ständig seine Routen geändert hat. Offensichtlich hat er in ganz Massachusetts nach meiner Familie gesucht, bis eines Tages seine Mühen durch Zufall belohnt wurden.
    Die Wahrheit sagt mir, dass mich meine Eltern wirklich geliebt haben, und das macht mir klar, dass Liebe allein nicht genug ist.
    Ein Mädchen braucht eine Identität.
    Ich ziehe mich an, eine schwarze Hose und Pumps, die ich billig erstanden habe.
    Bella fängt an zu winseln. Sie deutet die Anzeichen richtig. Bella ist nicht mehr gern allein in der Wohnung, ich übrigens auch nicht. Ich sehe immer noch Charlie Marvin tot in der Küche liegen.
    Nächste Woche, denke ich. Nächste Woche mache ich mich auf die Suche nach einer neuen Wohnung. Nach zweiunddreißig Jahren ist es Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen.
    Es klingelt.
    Meine Handflächen sind feucht. Ich laufe zu meiner neuen Tür, passe auf, dass ich mit den hohen Hacken nicht ins Stolpern gerate. Ich öffne die Schlösser und hoffe, dass ich keinen Lippenstift auf den Zähnen habe.
    Ich öffne die Tür und bin keineswegs enttäuscht. Er trägt eine Khakihose zu einem hellblauen Hemd, das wunderbar zu seinen grauen Augen passt, darüber ein dunkelblaues Sportsakko. Sein Haar ist noch feucht von der Dusche; ich rieche sein Aftershave.
    Gestern, um zwei Uhr morgens, nachdem die letzte Leiche identifiziert worden war, schloss die Bostoner Polizei offiziell die Ermittlungen in dem Mattapan-Fall ab und löste die Sondereinheit auf.
    Gestern, um zwei Uhr nachts, verabredeten wir uns.
    Jetzt hält er einen Blumenstrauß in der einen und einen Kauknochen in der anderen Hand. Damit ist klar, dass Bella nicht auf der Strecke bleibt.
    »Hallo«, sagt er und lächelt. »Bobby Dodge, nett, Sie kennenzulernen. Habe ich schon erwähnt, dass ich eine Vorliebe für Barbecues, weiße Lattenzäune und kläffende weiße Hunde habe?«
    Ich nehme ihm die Blumen ab und gebe Bella den Kauknochen.
    Er küsst meine Finger und jagt mir damit Schauer über den Rücken.
    »Freut mich sehr, Bobby Dodge.« Ich hole tief Luft. »Mein Name ist Annabelle.«

Danksagung
    Wie immer schulde ich einigen Personen großen Dank, ohne die dieses Buch nicht zustande gekommen wäre. Vom Boston Police Department: Deputy Daniel Coleman; Director of Communications Nicole St. Peter; Detective Juan Torres, Detective Wayne Rock; Lieutenant Detective Michael Gavin und Robert »Chuck« Kyle – er ist ein pensionierter Officer des Boston Police Department. All diese Menschen stellten mir geduldig ihre Zeit
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