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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab
Autoren: Lisa Gardner
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brachte ich heraus, dann packte mich Ben von hinten.
    Ich stürzte und schlug gegen die Tür. Tränen schossen mir aus den Augen, ein Wutschrei brach aus meiner Kehle. Die Tür bebte. Bobby warf sich dagegen. Aber sie hielt – natürlich hielt sie. Ich hatte diese Tür wegen ihrer Stabilität ausgesucht und mit einem halben Dutzend Schlösser und Riegel versehen. Ich hatte eine Festung gebaut, um mich zu schützen, und jetzt wurde mir das zum Verhängnis.
    »Annabelle!«, rief Bobby verzweifelt von draußen.
    Dann hatte ich Tommys heisere Stimme im Ohr. »Es ist deine Schuld, Amy. Du hast mich dazu gebracht. Du lässt mir keine andere Wahl.«
    Von weit weg die Stimme meines Vaters, seine endlosen Lektionen: »Manchmal, wenn man Angst hat, ist es schwierig, zu schreien. Also zerbrich irgend etwas. Schlag mit der Faust gegen die Wand, wirf Möbel um. Und kämpfe. Du musst immer kämpfen.«
    Tommy umklammerte meine Schultern, drehte mich um. Triumphierend hielt er Charlies blutiges Messer in der Faust.
    »Du wirst mich nie verlassen.«
    »Ich schieße«, schrie Bobby. »Geh weg von der Tür! Eins, zwei …«
    Tommy drückte mich auf den Boden, dennoch schaffte ich es, mir die Phiole vom Hals zu reißen. Tommy hob die Hand mit dem Messer. Ich zog den Metallstöpsel von der Glasphiole – und schleuderte ihm die Asche meiner Eltern ins Gesicht.
    Tommy wich zurück, wischte sich hektisch über die Augen.
    Und Bobby schoss.
    Tommys Körper zuckte – einmal, zweimal, dreimal. Dann trat Bobby die zertrümmerte Tür ein.
    Statt zu Boden zu gehen, drehte sich Tommy dem Geräusch zu und startete, fauchend wie ein verwundetes Tier, einen erneuten Angriff.
    Ich sprang auf. Bobby machte einen Satz nach links, und Tommy brach durch die kaputte Tür, prallte an das Treppengeländer und versuchte mit den Armen rudernd das Gleichgewicht zu halten.
    Ich dachte, er könnte es schaffen.
    Ich schlug fest von hinten zu – und beobachtete, wie mein Onkel über das Geländer in die Tiefe fiel und zu Tode stürzte.

38
    Die Wahrheit macht frei. Ein Sprichwort, das meinem Vater nie über die Lippen kam. Nach allem, was ich jetzt über seine Vergangenheit weiß, kann ich ihm das nicht mehr übelnehmen.
    Sechs Monate sind seit dem letzten blutigen Abend in meiner Wohnung vergangen. Sechs Monate, in denen ich oft von der Polizei befragt wurde, die Sachen meiner Eltern von der Spedition abholte, in denen DNA-Untersuchungen gemacht wurden und ich eine Pressekonferenz gab. Ich habe inzwischen eine eigene Agentin. Sie glaubt, dass ich für meine Geschichte etliche Millionen Dollar von einem Hollywoodstudio bekommen könnte. Selbstverständlich hat mir auch ein Verlag einen Vertrag für ein Buch angeboten.
    Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass ich aus der Tragödie meiner Familie Profit schlage. Ein Mensch muss aber essen, Miete zahlen, Kleider kaufen, und in letzter Zeit rennen mir meine Kunden nicht gerade die Tür ein, um Vorhänge und Fensterdraperien zu bestellen. Ich habe noch keine Entscheidung getroffen.
    Ich stehe unter der Dusche. Ich bin nervös, ein bisschen aufgeregt. Heute denke ich mehr denn je, dass ich noch viel über mich lernen muss.
    Dies sind die Wahrheiten, so wie ich sie sehe:
    Erstens: Bella ist nicht auf meinem Küchenboden gestorben. Nein, meine unglaublich tapfere Hundefreundin hielt sich besser als ich, als Bobby uns auf den Rücksitz eines Streifenwagens verfrachtete und zu einer Tierklinik raste. Charlie hatte Bellas Schulter bis auf den Knochen aufgeschlitzt. Und sie hatte viel Blut verloren. Aber nach der besten medizinischen Versorgung, die es gab, konnte ich Bella zu mir holen. Heute schläft sie am liebsten neben mir auf dem Bett. Und ich neige dazu, sie oft in den Arm zu nehmen. Vorerst müssen wir noch auf Joggingausflüge verzichten. Aber wir bauen unsere Muskeln durch Spaziergänge wieder auf.
    Zweitens: Wunden heilen. Ich habe vierundzwanzig Stunden in der Klinik verbracht. Erst wollte ich nicht von Bellas Seite weichen, aber der Tierarzt zwang mich dazu. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich selbst ebenfalls viel Blut verloren. Der Schnitt an der Wange musste mit zwölf Stichen genäht werden. Die an den Beinen brauchten zwanzig Stiche, an meinem rechten Arm einunddreißig. Ich mag meine Narben. Manchmal zeichne ich mitten in der Nacht die feinen Wülste mit der Fingerspitze nach. Kriegswunden. Mein Vater wäre stolz.
    Drittens: Einige Fragen werden wohl nie beantwortet werden. In dem Container der Spedition
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