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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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fest gepackt und zogen sie jetzt mit sich hoch, während unter ihnen alles langsam in sich zusammenstürzte und majestätisch in den Tiefen versank.
    Vorübergehende Dunkelheit. Und schließlich der Krater und das Licht der Sonne, der herrlichen Sonne. Die Luft, die mitten auf der Plaza Mayor von Antigua ihre Gesichter liebkoste. Die Rufe derer, die ihnen die Hände entgegenstreckten. Und darunter – John Bealfeld, der erleichtert lächelte.

|728| Epilog
    Endlich erblickt der Bote der Taxis das weißgekalkte Haus, das sich am Ende der schattigen Allee gegen das strahlende Blau des Meeres abhebt. Unter einem der Maulbeerbäume legt Rafael Calderón die Blätter für die Seidenraupen in einen Weidenkorb. Der Bote springt neben ihm vom Pferd und zieht den Hut zum Gruß, bevor er mit dem versiegelten Umschlag wedelt.
    Wenig später kommt der Kurier zu dem tausendjährigen Olivenbaum mit seinen tiefen, weitverzweigten Wurzeln, unter dem Raimundo Randa auf einer Bank sitzt. Neben ihm reifen in der Sonne von Wespen umsurrte Muskatellertrauben. Ein Fensterbrett dient ihm als Regal. Dort hat er seine Bücher aufgereiht. Auf dem Tisch aus unbehauenem Sandstein stehen die Streusandbüchse und das Tintenfaß. Immer wieder taucht er die Feder hinein, um seine Aufzeichnungen fortzuführen.
    Randa ist inzwischen sehr betagt, und auf seiner Nase sitzt wegen seiner altersschwachen Augen eine Brille. Doch die langen Finger seiner kräftigen Hände blättern noch immer flink in dem Buch, das vor ihm liegt. Er sieht glücklich aus. Er trägt ein abgenutztes Wams aus granatrotem Samt und darüber eine Lederweste, die Halskrause sitzt locker. Als der Bote sich nähert, hebt er den Blick. Er hat das Wiehern des Pferdes gehört. Höflich erhebt er sich, noch bevor der Bote etwas dagegen einwenden kann.
    |729| »Ich bringe Euch nur eine Nachricht«, teilt er dem alten Mann mit und überreicht ihm den Brief.
    »Setzt Euch«, fordert Randa ihn auf und zeigt auf einen Holzschemel. »Ich weiß nur zu gut, wie hart das Leben eines Kuriers ist. Wann habt Ihr das letzte Mal etwas Warmes gegessen?«
    Randa deutet zum geöffneten Fenster. Dahinter liegt die Küche, wo es in mehreren Töpfen auf dem Herd brodelt.
    »Oh, das ist schon ein paar Tage her«, antwortet der Bote lächelnd. »Es duftet köstlich … Aber wollt Ihr den Brief denn nicht lesen?«
    »Nach dem Mittagessen. Seit fast zwei Jahren warte ich darauf. Da kommt es jetzt nicht auf ein paar Minuten mehr oder weniger an. Ist Euch dieses Plätzchen unter dem Olivenbaum genehm?«
    Sie räumen den Tisch ab. Randas Tochter Ruth kommt mit den Tellern, einem Krug Wein und einem Laib Brot und ruft dann laut nach ihrem Mann, der gleich darauf mit zwei Kindern erscheint. Es sind ihre beiden Söhne, zu denen sich noch ein etwas älteres Mädchen gesellt. Die drei bringen mit anmutigen Verbeugungen eine Schüssel mit Wasser und Tücher, damit sie sich die Hände waschen können.
    Während sie dann alle die Suppe, zarte gekochte Kapaune und Hammelfleisch verspeisen, bringt Randa das Gespräch auf das, was ihn am meisten interessiert, so daß der Bote sich beeilt, ihm das Neuste aus dem fernen Antigua zu schildern. Offenherzig bittet Randa seine Tochter, sie möge doch zu den getrockneten Quitten, Aprikosen und süßen Orangen noch einen Krug Apfelmost holen, nachdem er gesehen hat, wie sein Gast beim Essen tüchtig zugelangt hat.
    »Ein wunderbarer Nachtisch«, lobt der Bote. »Woher habt Ihr ihn?«
    »Ich mache ihn selbst. Seht Ihr den Apfelbaum dort drüben? Ich habe festgestellt, daß die Früchte, die an die Destillierstube im oberen Stockwerk heranreichen, aromatischer sind als die an den anderen Zweigen.« Gedankenverloren blickt er auf seinen |730| Becher, bevor er wieder den Blick hebt. »Ihr müßt erschöpft sein. Warum haltet Ihr nicht eine Siesta, bis ich diesen Brief gelesen und eine Antwort geschrieben habe?«
    Der Bote will schon etwas einwenden, da schneidet Raimundo ihm das Wort ab.
    »Ich werde sicher etwas Zeit brauchen. Und macht Euch keine Sorgen um Euer Pferd. Rafael wird sich darum kümmern.«
    Randa setzt sich die Brille auf, um den langen Brief zu lesen. Von Zeit zu Zeit schickt ihm Juan de Herrera einen eingehenden Bericht über alles, was im fernen Spanien passiert. Zu seinem Erstaunen stellt er jedoch fest, daß der Brief diesmal nicht von dem Architekten stammt, sondern vom Prior des Escorial, Hochwürden José de Sigüenza.
    Im Auftrag von Juan de Herrera, der mir dies
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