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Krumme Touren in Texas

Krumme Touren in Texas

Titel: Krumme Touren in Texas
Autoren: Deborah Powell
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die sich zu einer
    haarsträubenden Manie entwickelt hatte, las sie alles
    über Verbrecher, was sie in die Finger kriegen
    konnte. Eine Unterhaltung mit ihr bestand
    gewöhnlich aus plastischen Schilderungen blutiger
    Schießereien, großzügig gepfeffert mit Worten wie
    Schränker, Ballermann, Engelmacher, Stricher,
    Revolverheld, Polente, Ganove, Buchmacher und
    Lude.
    Ich grinste, wedelte mit einer aufgerollten Zeitung
    in ihre Richtung und schlenderte zurück ins Haus, um
    die Nachrichten zu lesen.
    Hier passierte im großen und ganzen das übliche –
    Mord,
    Vergewaltigung,
    Glücksspiel,
    Raub,
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    Geldschrankknacken und dergleichen. Die Szene im
    Ausland allerdings erhitzte sich. Chinesische Flieger
    hatten eine »erbitterte Luftschlacht« gegen Shanghai
    am zehnten Tag des chinesisch-japanischen Krieges
    ohne Kriegserklärung gewonnen. Ich las die Artikel
    über diesen Krieg gern. Sie wimmelten von Wörtern
    wie Yangtze, Nanking, Poontung und Whangpoo. Es
    war schon komisch, diese Wörter schwarz auf weiß
    gedruckt zu sehen. Für Südstaatenohren klangen sie
    einigen sehr ähnlich, die selbst dem gestandensten
    Lebemann die Schamröte ins Gesicht treiben würden.
    Nachdem ich die Nachrichten überflogen hatte, las
    ich die Witze und blätterte dann weiter zu den
    Anzeigen. Die meisten waren unglaublich lausig und
    offensichtlich von Leuten verfaßt, die als
    Anzeigenschreiber angeheuert worden waren, weil
    der Job, Affenscheiße im Zoo zu schippen, sie
    intellektuell völlig überfordert hatte. Es gab
    schwitzende Männer, die sich Sorgen über
    Körpergeruch machten, und Frauen, die Lydia
    Pinkhams Pflanzenöl literweise soffen. Um Himmels
    willen! Dann kam eine knackige Anzeige – Gehen Sie
    zu Dr. Waymon Stovall zur Behandlung von Prostata
    und Mandeln. Das war zur Abwechslung mal ein
    Mann, der es sich nicht leisten konnte, viele Fehler zu
    machen.
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    Waymon Stovall. Ich fuhr senkrecht im Bett hoch,
    mein Herz raste. Es konnte nicht zwei davon geben.
    Ich rollte mich auf den Boden, riß die Tür meines
    Nachtschränkchens auf und schnappte mir das
    Telefonbuch. Da stand es – Waymon Stovall, Dr.
    med., privat Bayland Avenue 810, Praxis Main Street
    1625. Warum hatte ich nicht früher daran gedacht, im
    Telefonbuch nachzuschlagen?
    Beim Wühlen im Nachtschrank hatte ich mir das
    Knie verrenkt, deshalb humpelte ich in die Küche, um
    zu medizinischen Zwecken eine Coca-Cola und ein
    Stück Fondant einzunehmen. Nach einer ausgiebigen
    Dusche warf ich mich in frisches Hemd und Hose
    und schlüpfte in meine Schuhe, während ich durchs
    Haus lief, um Anice einzufangen. Es war zu heiß, um
    sie mitzunehmen, deshalb brachte ich sie zu Park und
    Charlotte und rannte wieder runter, um eine
    Taschenlampe und einige andere wichtige Utensilien
    zu schnappen, inklusive der Dreyse Taschenkanone
    Kaliber 25, die ich letztes Jahr in einer Pfandleihe in
    der Innenstadt erstanden hatte. Sie war insgesamt
    nur elfeinhalb Zentimeter lang und paßte bequem in
    meine Hosentasche.
    Auch mit offenem Ausstellfenster und so weit wie
    möglich nach außen gekurbelter Windschutzscheibe
    war es im Ford 36 affenheiß. Hitzewellen waberten
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    träge in der Ferne wie eine alte Schnapsnase, die
    glücklich lila Schlangen und weißen Mäusen zuwinkt.
    Ich brauste auf der Fairview nach Osten, bog in die
    Main Street und fuhr Richtung Norden bis zum Block
    mit den 1600er Nummern. Vor dem Haus waren
    keine Polypen, aber ich drehte eine Runde, um ganz
    sicherzugehen, bevor ich vor den Beaconsfield
    Apartments parkte.
    Es waren viele Leute unterwegs, obwohl Sonntag
    war. Männer spazierten in weißen Sommeranzügen,
    weißen Schuhen und flachen, breitkrempigen
    Strohhüten
    herum,
    begleiteten
    Frauen
    in
    blaßfarbenen,
    wadenlangen
    Kleidern
    und
    hochhackigen Sandaletten. Sie kamen aus oder waren
    auf dem Weg zu luftgekühlten Kinos und Hotels, um
    sich bei Tee oder Cocktails Linderung von der
    drückenden Hitze zu verschaffen.
    Das Gebäude, das ich suchte, war an der
    nordöstlichen Ecke der Kreuzung Pease und Main
    Street. Es war ein vierstöckiger, moderner Bau aus
    großen weißen Kalksteinquadern. Auf einem
    schwarzen Schild, das über der Tür hing, stand in
    weißer
    Schrift
    »Ärztehaus
    Houston«.
    Die
    Eingangstür aus Glas und Stahl war nicht
    verschlossen, also betrat ich die hohe, schmale
    Eingangshalle und marschierte zur Tafel an der
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    Wand neben den Stahltüren des Fahrstuhls. Waymon
    Stovalls Praxis war die
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