Krumme Touren in Texas
Nummer 406.
Ich drückte den Fahrstuhlknopf. Die Praxis lag am
Ende des Flurs auf der linken Seite. Die obere
Türhälfte bestand aus undurchsichtigem Milchglas,
was gut war – falls ich das Schloß mit meinen
Dietrichen nicht aufbekam, konnte ich immer noch
das Glas einschlagen, um reinzukommen. Ich warf
einen Blick zurück in den Flur, um mich zu
vergewissern, daß die Luft rein war, bevor ich mir
die Tür vornahm. Sie war abgeschlossen, also angelte
ich das kleine Stoffpäckchen aus meiner Tasche und
machte mich an die Arbeit.
Die einzige Lichtquelle waren große, weiße
Beleuchtungskörper Marke Schulhaus, die in
Abständen von etwa fünf Metern an Ketten von der
Flurdecke hingen. Sie nützten nicht viel. Nach ein
paar mißglückten Anläufen und einigen auserlesenen
Flüchen, reserviert für die richtige Gelegenheit,
klickte das Schloß beruhigend. Ich holte tief Luft und
trat leise in Dr. Waymon Stovalls Wartezimmer. Die
Zulassung, die an der blaßgrünen Wand hing,
verkündete, daß Doktor Stovall Praktischer Arzt war
und in Texas arbeiten durfte.
Eine Wand trennte den Empfangsbereich vom
Wartezimmer. Ein hölzernes Schild, auf dem Mrs.
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Breeland stand, thronte neben einer verchromten
Tischklingel auf dem Tresen. An einer Holztür zu
meiner Rechten hing ein Schild »Nicht eintreten«. Ich
trat schnell ein.
Mrs. Breelands Reich, blitzsauber, war links. Ihre
gespitzten Bleistifte – die Radiergummienden
bildeten eine exakte gerade Linie – lagen in Reih und
Glied. Ein Lineal war peinlich genau parallel zur
Kante des Roteichenschreibtischs ausgerichtet. Ich
konnte mir nicht vorstellen, was eine Arzthelferin mit
einem Lineal wollte – es sei denn, den Leuten eins
auf die Finger geben, wenn sie nicht parierten. Ich
schlenderte den Flur entlang und war froh, daß die
Arzthelferin mich nicht beim Schloßknacken erwischt
hatte.
Das Sprechzimmer des Doktors war links. Er hatte
einen großen Mahagonischreibtisch, dazu einen
passenden
Drehstuhl
mit
geschwungener
Rückenlehne. Zwei weiße Kittel mit durchgehender
Knopfleiste auf der linken Seite hingen an einem
Kleiderständer aus Bugholz, der in der Ecke stand.
Ein Stethoskop lag neben einem dieser großen,
runden Chromdinger, die Ärzte auf der Stirn tragen.
Ich setzte das runde Ding auf und ging zum Spiegel
an der Wand, um einen Blick hineinzuwerfen – ich
sah so albern wie ein Doktor aus, also nahm ich es
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wieder ab. Dann steckte ich mir das Stethoskop in
die Ohren und lauschte meinem Herzschlag. Das
wollte ich immer schon mal tun, und es stellte sich
als genau so spannend heraus, wie ich geahnt hatte.
Poch. Poch. Wie aufregend.
Dann durchsuchte ich den Schreibtisch, fand aber
nicht viel – Füller, Bleistifte, eine halbvolle Schachtel
Pall Mall, Reklame von Lieferanten für Praxisbedarf,
Büroklammern, Gummiringe, Broschüren übers
Kinderkriegen und Ratgeber für gesunde Ernährung.
Absolut unnütz. Ich würde mit Sicherheit nie Kinder
haben – gemeine kleine Biester –, und ich für meinen
Teil hatte das Geheimnis guter Gesundheit vor langer
Zeit entdeckt – massenhaft Zucker und Schokolade.
Wissenschaftler werden eines Tages bestätigen, daß
ich mit meiner Diät richtig liege – je mehr
Schokolade, desto besser. Ich überflog den
Ernährungsratgeber im Schreibtisch des Doktors.
Pures Gewäsch, empfahl eine ausgewogene Diät aus
Kohlehydraten, Proteinen und grünem Blattgemüse!
Nirgendwo in diesem giftigen Lügenblatt wurde
auch nur eine einzige Portion Schokolade erwähnt.
Eine solche Diät konnte eine vollkommen gesunde
Person in wenigen Monaten umbringen.
Die nächste Schublade war keinen Deut besser.
Keine Liebesbriefe von einem ordinären Flittchen,
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kein verräterisches Tagebuch, keine erpresserischen
Drohungen, kein gar nichts. Nur ein Gemeindebrief
vom Bible Cyclorama im Shepherd Drive. Gute alte
Schwester Jasmine und die Jesus People.
Ich stopfte das Blättchen zurück in die Schublade
und durchsuchte den Rest des Zimmers, fand aber
nichts. Der Schreibtisch der Empfangsdame spuckte
auch nichts Schönes aus. Die Hitze in der Praxis
machte mir allmählich zu schaffen, deshalb ging ich
schnell durch die Untersuchungsräume, kleine weiße
Kabinen mit Unmengen tückisch aussehender
Instrumente – Zungenspatel, Thermometer und der
obligate Vaselinetopf. Ich betrachtete den Topf und
mahnte mich, nicht so krank zu werden, daß ich zum
Knochenflicker
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