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Krumme Touren in Texas

Krumme Touren in Texas

Titel: Krumme Touren in Texas
Autoren: Deborah Powell
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Nummer 406.
    Ich drückte den Fahrstuhlknopf. Die Praxis lag am
    Ende des Flurs auf der linken Seite. Die obere
    Türhälfte bestand aus undurchsichtigem Milchglas,
    was gut war – falls ich das Schloß mit meinen
    Dietrichen nicht aufbekam, konnte ich immer noch
    das Glas einschlagen, um reinzukommen. Ich warf
    einen Blick zurück in den Flur, um mich zu
    vergewissern, daß die Luft rein war, bevor ich mir
    die Tür vornahm. Sie war abgeschlossen, also angelte
    ich das kleine Stoffpäckchen aus meiner Tasche und
    machte mich an die Arbeit.
    Die einzige Lichtquelle waren große, weiße
    Beleuchtungskörper Marke Schulhaus, die in
    Abständen von etwa fünf Metern an Ketten von der
    Flurdecke hingen. Sie nützten nicht viel. Nach ein
    paar mißglückten Anläufen und einigen auserlesenen
    Flüchen, reserviert für die richtige Gelegenheit,
    klickte das Schloß beruhigend. Ich holte tief Luft und
    trat leise in Dr. Waymon Stovalls Wartezimmer. Die
    Zulassung, die an der blaßgrünen Wand hing,
    verkündete, daß Doktor Stovall Praktischer Arzt war
    und in Texas arbeiten durfte.
    Eine Wand trennte den Empfangsbereich vom
    Wartezimmer. Ein hölzernes Schild, auf dem Mrs.
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    Breeland stand, thronte neben einer verchromten
    Tischklingel auf dem Tresen. An einer Holztür zu
    meiner Rechten hing ein Schild »Nicht eintreten«. Ich
    trat schnell ein.
    Mrs. Breelands Reich, blitzsauber, war links. Ihre
    gespitzten Bleistifte – die Radiergummienden
    bildeten eine exakte gerade Linie – lagen in Reih und
    Glied. Ein Lineal war peinlich genau parallel zur
    Kante des Roteichenschreibtischs ausgerichtet. Ich
    konnte mir nicht vorstellen, was eine Arzthelferin mit
    einem Lineal wollte – es sei denn, den Leuten eins
    auf die Finger geben, wenn sie nicht parierten. Ich
    schlenderte den Flur entlang und war froh, daß die
    Arzthelferin mich nicht beim Schloßknacken erwischt
    hatte.
    Das Sprechzimmer des Doktors war links. Er hatte
    einen großen Mahagonischreibtisch, dazu einen
    passenden
    Drehstuhl
    mit
    geschwungener
    Rückenlehne. Zwei weiße Kittel mit durchgehender
    Knopfleiste auf der linken Seite hingen an einem
    Kleiderständer aus Bugholz, der in der Ecke stand.
    Ein Stethoskop lag neben einem dieser großen,
    runden Chromdinger, die Ärzte auf der Stirn tragen.
    Ich setzte das runde Ding auf und ging zum Spiegel
    an der Wand, um einen Blick hineinzuwerfen – ich
    sah so albern wie ein Doktor aus, also nahm ich es
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    wieder ab. Dann steckte ich mir das Stethoskop in
    die Ohren und lauschte meinem Herzschlag. Das
    wollte ich immer schon mal tun, und es stellte sich
    als genau so spannend heraus, wie ich geahnt hatte.
    Poch. Poch. Wie aufregend.
    Dann durchsuchte ich den Schreibtisch, fand aber
    nicht viel – Füller, Bleistifte, eine halbvolle Schachtel
    Pall Mall, Reklame von Lieferanten für Praxisbedarf,
    Büroklammern, Gummiringe, Broschüren übers
    Kinderkriegen und Ratgeber für gesunde Ernährung.
    Absolut unnütz. Ich würde mit Sicherheit nie Kinder
    haben – gemeine kleine Biester –, und ich für meinen
    Teil hatte das Geheimnis guter Gesundheit vor langer
    Zeit entdeckt – massenhaft Zucker und Schokolade.
    Wissenschaftler werden eines Tages bestätigen, daß
    ich mit meiner Diät richtig liege – je mehr
    Schokolade, desto besser. Ich überflog den
    Ernährungsratgeber im Schreibtisch des Doktors.
    Pures Gewäsch, empfahl eine ausgewogene Diät aus
    Kohlehydraten, Proteinen und grünem Blattgemüse!
    Nirgendwo in diesem giftigen Lügenblatt wurde
    auch nur eine einzige Portion Schokolade erwähnt.
    Eine solche Diät konnte eine vollkommen gesunde
    Person in wenigen Monaten umbringen.
    Die nächste Schublade war keinen Deut besser.
    Keine Liebesbriefe von einem ordinären Flittchen,
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    kein verräterisches Tagebuch, keine erpresserischen
    Drohungen, kein gar nichts. Nur ein Gemeindebrief
    vom Bible Cyclorama im Shepherd Drive. Gute alte
    Schwester Jasmine und die Jesus People.
    Ich stopfte das Blättchen zurück in die Schublade
    und durchsuchte den Rest des Zimmers, fand aber
    nichts. Der Schreibtisch der Empfangsdame spuckte
    auch nichts Schönes aus. Die Hitze in der Praxis
    machte mir allmählich zu schaffen, deshalb ging ich
    schnell durch die Untersuchungsräume, kleine weiße
    Kabinen mit Unmengen tückisch aussehender
    Instrumente – Zungenspatel, Thermometer und der
    obligate Vaselinetopf. Ich betrachtete den Topf und
    mahnte mich, nicht so krank zu werden, daß ich zum
    Knochenflicker
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