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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume
Autoren: Barbara Wood
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Mutter ihm jetzt feuchten Schlamm auf die Brandwunde strich, keinen größeren Schaden genommen zu haben. Die Große sah, dass sich die anderen Familienmitglieder verschlafen und träge zur Wasserstelle aufmachten, um dort zu trinken. Anzeichen von Furcht oder Beunruhigung waren bei ihnen nicht zu erkennen.
    Dennoch stimmte etwas nicht. Obwohl die Große weder etwas Außergewöhnliches sehen noch hören oder riechen konnte, witterte die junge Frau instinktiv eine Bedrohung. Auch wenn sie ihre Befürchtungen nicht ausdrücken konnte, begriff sie, dass es eine Warnung war. Wenn sie aber jetzt die anderen darauf aufmerksam machte, würden die sofort Ausschau nach Schlangen oder wilden Hunden oder Säbelzahntigern halten. Sie würden nichts dergleichen entdecken und sich wundern, warum die Große sie gewarnt hatte.
    Die Warnung bezieht sich nicht auf hier und jetzt, raunte ihr Verstand, als sie jetzt doch ihr schützendes Lager verließ, sondern auf das, was bevorsteht.
    Damit wusste die junge Frau jedoch nichts anzufangen.
    Zukunftsbegriffe waren ihr unbekannt. Gefahr, die »bevorstand«, war ihrer Sippe, die nur unmittelbar drohende Gefahr kannte, fremd.
    Die Menschen in der Savanne lebten nicht anders als die Tiere um sie herum, sie suchten Nahrung und Wasser, flüchteten vor Raubtieren, stillten ihren Geschlechtstrieb und legten sich schlafen, wenn die Sonne hoch am Himmel stand und ihre Mägen voll waren.
    Als die Sonne aufging, verließ die Familie den Schutz des hohen Riedgrases und schwärmte aus in die offene Ebene. Jetzt, da der neue Tag die Nacht und ihre Gefahren vertrieben hatte, fühlte sie sich sicher. Nur die Große vermochte ihre namenlose Beklemmung nicht abzuschütteln, als sie sich zu der Gruppe gesellte und mit der täglichen Nahrungssuche begann.
    Immer wieder hielt sie inne und spähte um sich, in der Hoffnung, die neue Bedrohung zu erkennen, die sie so deutlich spürte. Aber alles, was sie sah, war ein Meer von strohgelbem Gras, das sich, durchsetzt mit vereinzelten Laubbäumen und Felsgestein, bis hin zu den in der Ferne liegenden Bergen erstreckte. Keine Raubtiere folgten den vom Durst vorwärts getriebenen Menschen, keine gefiederte Gefahr kreiste am dunstverhangenen Himmel. Die Große sah Antilopenherden grasen, Giraffen an Bäumen herumknabbern, Zebras, die lebhaft mit den Schweifen schlugen. Nichts davon war außergewöhnlich oder neu.
    Nur der Berg vor ihnen am Horizont: Vor ein paar Tagen hatte er noch geschlafen, nun aber spie er Rauch und Asche. Das war neu.
    Die Menschen jedoch nahmen es nicht zur Kenntnis – weder Nüster, als er sich eine Heuschrecke, die er gefangen hatte, in den Mund stopfte, noch Honigfinderin, als sie ein Büschel herausgerissener Blumen hochhielt, um zu prüfen, ob die Wurzeln essbar waren; auch der Hungrige nicht, als er den leicht rauchverschleierten Himmel nach Geiern absuchte, als Hinweis auf einen Kadaver und die Aussicht auf Fleisch. In Unkenntnis der Gefahr, die von dem Vulkan ausging, suchten die Menschen unentwegt weiter nach Essbarem, wanderten barfuß über rote Erde und stacheliges Gras, durchstreiften eine Landschaft, in der es Seen und Sümpfe gab, Wälder und Steppen. Nur selten begegnete die Familie anderen ihrer Art, obwohl sie sehr wohl ahnte, dass jenseits des Gebiets, in dem sie sich aufhielt, weitere menschliche Wesen lebten. Aber sich über die Grenzen ihres angestammten Territoriums hinauszuwagen wäre schwierig gewesen: Auf der einen Seite verlief eine steil abfallende Schlucht, an der anderen ein tiefer, breiter Fluss und an der dritten unpassierbares Sumpfland. Innerhalb dieser Grenzen hatte die Familie, ihrem Instinkt und ihren angestammten Verhaltensweisen folgend, seit Generationen gelebt und überlebt.
    Geschlossen wanderten sie dahin, die Alten und die Frauen mit Kindern in der schützenden Mitte, die mit Speeren und Faustkeilen bewaffneten Männer am äußeren Rand, immer auf der Hut vor Raubtieren. Raubtiere hatten es stets auf die Schwachen abgesehen, und diese Gruppe war in der Tat schwach: Seit dem Tag zuvor hatten sie kein Wasser mehr getrunken. Mit trockenen Kehlen und aufgesprungenen Lippen zogen sie unter der immer höher steigenden Sonne dahin und träumten von einem Fluss mit klarem Wasser, in dem sie Wurzelknollen und Schildkröteneier finden würden und Büschel essbarer Pflanzen, vielleicht sogar einen seltenen, schmackhaften Flamingo, der sich zwischen Papyrusstauden fangen ließ.
    Jedes Familienmitglied hatte einen
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