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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume
Autoren: Barbara Wood
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windende Kind zwischen ihren rasiermesserscharfen Zähnen. Die Menschen wagten sich nicht weiter ins Dickicht hinein. Außer sich sprangen sie herum, schlugen mit ihren krude behauenen Keulen auf den Boden; ihr wütendes Geschrei stieg zum Himmel, wo bereits die ersten Geier in Erwartung einer Mahlzeit kreisten. Die Mutter des Kindes, eine junge Frau namens Wespe, lief vor dem Schlupfloch, durch das die Katze entwischt war, auf und ab. Dann ertönte ein Befehl von einem der Männer. Er bedeutete der Gruppe weiterzuziehen, worauf alle geschlossen dem dornigen Unterholz den Rücken kehrten. Einzig Wespe weigerte sich, ihnen zu folgen, so sehr zwei andere Frauen auch versuchten, sie mit sich zu zerren. Sie warf sich auf den Boden und heulte wie von Schmerzen gepeinigt auf. Schließlich überwog bei den anderen Frauen die Angst, die Katze könnte zurückkommen. Sie ließen von Wespe ab, eilten auf eine nahe stehende Baumgruppe zu und hangelten sich hastig hinauf in den Schutz der Äste.
    Dort harrten sie aus, bis die Sonne langsam am Horizont versank und die Schatten länger wurden. Die Klagelaute der verzweifelten Mutter waren verstummt. Die nachmittägliche Ruhe war nur einmal von einem spitzen Schrei durchbrochen worden, dann hatte sich wieder Stille ausgebreitet. Erst als Hunger und Durst zum Aufbruch gemahnten, kletterten die Frauen von den Bäumen, warfen einen kurzen Blick auf die blutgetränkte Stelle, an der sie Wespe zuletzt gesehen hatten, und zogen dann ebenfalls in Richtung Westen weiter, um zu den anderen aufzuschließen.
    Mit aufrechtem Gang und zielstrebig durchquerten die Menschen die afrikanische Savanne. Ihre langen Gliedmaßen und schlanken Körper waren geschmeidig und anmutig. Kleidung trugen sie nicht, auch keinen Schmuck; in ihren Händen hielten sie grob behauene Wurfspeere und Faustkeile. Unter den sechsundsiebzig Mitgliedern der Gruppe waren alle Altersstufen vertreten, vom Säugling bis zum Greis. Neun der Frauen waren schwanger. Diese Familie von Frühmenschen ahnte nicht, dass hunderttausend Jahre später, in einer für sie unvorstellbaren Welt, ihre Nachfahren sie als Homo sapiens bezeichnen würden – »den weisen Menschen«.

    Gefahr

    Die Große kauerte auf dem Lager, das sie mit Alter Mutter teilte, als sich ihre Sinne unvermittelt für die Geräusche und Gerüche schärften, die den Anbruch des neuen Tages begleiteten. Da war der Rauch des schwelenden Lagerfeuers. Der beißende Geruch von verkohltem Holz. Die schneidend kalte Luft. Die Vögel, die in den Bäumen erwachten und zu dissonantem Gezwitscher anhoben.
    Dagegen kündete weder das Knurren eines Löwen noch das Bellen einer Hyäne oder das Zischen einer Schlange von einer drohenden Gefahr. Die Große bewegte sich noch immer nicht. Obwohl sie vor Kälte zitterte und sich gern an Alter Mutter gewärmt hätte, die wohl bereits an der Feuerstelle saß und die letzte Aschenglut neu anfachte, verharrte sie regungslos. Irgendwo lauerte Unheil. Es war deutlich zu spüren.
    Langsam hob die Große den Kopf und blinzelte durch die dunstverhangene Morgenluft. Auch die anderen Familienmitglieder machten sich nach und nach bemerkbar. Das frühmorgendliche Krächzen von Gräte war zu hören, der so hieß, weil er einmal um ein Haar an einer Gräte erstickt wäre, hätte Nüster ihm nicht ein paar kräftige Schläge zwischen die Schulterblätter verpasst, mit der Folge, dass die Gräte herausgeschossen und im hohen Bogen über das Lagerfeuer geflogen war. Allerdings konnte Gräte seither nicht mehr richtig schlucken. Da war wie üblich Alte Mutter, die Gras über das schwach glimmende Feuer streute, während Nüster neben ihr hockte und den Insektenstich an seinem Hodensack untersuchte.
    Feuermacherin war damit beschäftigt, ihr Baby zu stillen. Der Hungrige und Beule schnarchten noch, Skorpion pisste an einen Baum. Und im Dämmerlicht bewegte sich die Silhouette von Löwe, der seiner sexuellen Befriedigung bei Honigfinderin nachging. Alles wie immer.
    Die Große setzte sich auf und rieb sich die Augen. In der Nacht war die Familie aus dem Schlaf gerissen worden, weil ein Kind von Maus, ein kleiner Junge, zu nahe am Feuer gelegen und sich ernsthaft verbrannt hatte. Eine Erfahrung, die keinem Kind erspart blieb. Auch über den rechten Schenkel von der Großen verlief eine Brandnarbe, die aus ihrer frühesten Jugend stammte, als sie zu dicht an der glimmenden Glut geschlafen hatte. Zum Glück schien der Junge, obwohl er wimmerte, als seine
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