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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume
Autoren: Barbara Wood
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die den Vorfall beobachtet hatte, gesellte sich zu Alter Mutter und strich der erschrockenen Alten mit tröstlichen Gurrlauten übers Haar. Alte Mutter war die Älteste der Familie, auch wenn niemand genau wusste, wie alt sie war, da ihnen das Rechnen nach Jahren oder Jahreszeiten unbekannt war. Hätte jemand mitgezählt, wäre das Ergebnis gewesen, dass sie das vorgerückte Alter von fünfundfünfzig erreicht hatte. Die Große dagegen durchlebte ihren fünfzehnten Sommer, und ganz verschwommen wusste sie, dass sie die Tochter einer Frau war, die von Alter Mutter abstammte.
    Während die Große beobachtete, wie Löwe einen Rundgang durchs Lager machte und dann sein Bettnest aufsuchte, kroch namenlose Angst in ihr hoch. Sie hing mit Alter Mutter zusammen, mit deren Hilflosigkeit. Ganz schwach erinnerte sich das junge Mädchen an ihre eigene Mutter, die sich das Bein gebrochen hatte und zurückgelassen worden war, als sie nicht mehr weiterlaufen konnte – eine einsame Gestalt, an den Stamm eines Dornenbaums gelehnt, den Blick auf die ohne sie weiterziehende Familie gerichtet.
    Aber es war nun einmal so, dass sich die Familie wegen der ständig im hohen Gras lauernden Raubtiere nicht mit einem Schwächling belasten konnte. Als sie später wieder an der Stelle vorbeigekommen waren, fand sich keine Spur mehr von der Mutter der Großen.

    Allmählich richteten sich alle für die Nacht ein, Mütter und Kinder rollten sich in ihren Bettnestern zusammen, die Männer suchten sich ein bequemes Plätzchen, drängten sich, um sich gegenseitig zu wärmen, Rücken an Rücken, schreckten auf und veränderten ihre Stellung, wenn in der Dunkelheit etwas in der Nähe knurrte oder bellte. Die Große fand keinen Schlaf. Sie verließ das Bettnest, das sie mit Alter Mutter teilte, und schlich vorsichtig zur Wasserstelle. Nicht weit entfernt bemerkte sie, dass eine kleine Herde Elefanten - alles Weibchen mit ihren Jungen – in der ihnen eigenen Art an einen Baum oder aneinander gelehnt vor sich hindöste. Als sie am Ufer des Tümpels anlangte, stellte sie fest, dass seine Oberfläche mit einer dicken Schicht vulkanischer Asche bedeckt war und dass, wie ein Blick hinauf zum Himmel ergab, die Sterne zusehends von Rauch verhüllt wurden. Wieder rang die Große darum, ihre innere Unruhe zu ergründen.
    Sie hatte etwas mit der unbekannten Gefahr zu tun. Die Große schaute zurück zum Lager, aus dem man bereits schnarchende Laute vernahm, nächtliches Grunzen und Seufzen. Das Stöhnen und Keuchen eines Paares. Das Wimmern eines Babys und gleich darauf besänftigendes Flüstern. Das eindeutig von Nüster stammende Rülpsen. Und das laute Gähnen derer, die, mit Speeren und Fackeln ausgerüstet, Wache hielten. Alle schienen sie sorglos zu sein; für sie ging das Leben weiter wie immer. Nur die Große war verstört. Nur sie spürte, dass etwas nicht so war wie immer.
    Nur inwiefern? Löwe war mit der Familie zu all den angestammten Plätzen unterwegs, die sie seit Generationen aufsuchten. Sie fanden die Nahrung, die sie sonst auch gefunden hatten; sie fanden sogar Wasser dort, wo es zu sein hatte, auch wenn es mit Asche bedeckt war. Sicherheit und Überleben waren gewährleistet, wenn alles so war wie immer. Der Gedanke, dass sich etwas verändern könnte, stellte sich der Familie nicht.
    Aber jetzt veränderte sich etwas – zumindest der Großen kam es so vor.
    Mit ihren dunkelbraunen Augen spähte sie durch die Nacht, forschte nach einer verdächtigen Bewegung. Ständig auf der Hut, niemals in ihrer Wachsamkeit nachlassend, lebte sie wie alle in der Familie nach ihren Instinkten und einem ausgeprägten Überlebensdrang. In dieser Nacht jedoch war es anders als sonst, seit der Nacht, da sich das Gespür für eine heraufziehende Gefahr bemerkbar gemacht hatte. Eine Gefahr, die weder sichtbar war noch einen Namen hatte. Die weder eine Spur noch einen Abdruck hinterließ, die nicht knurrte oder zischte, weder Fänge noch Klauen besaß und dennoch dazu führte, dass sich die feinen Härchen im Nacken der Großen sträubten.
    Sie blickte zu den Sternen und sah, wie sie vom Rauch verschluckt wurden. Dass es Asche regnete. Sie starrte auf das mit Ruß bedeckte Wasser und atmete den Gestank von Schwefel und Magma vom Vulkan in der Ferne ein. Sie beobachtete das im Nachtwind wogende Gras, die sich biegenden Bäume, und in welche Richtung das trockene Laub wehte. Und mit einem Mal, von einem Herzschlag zum anderen, begriff sie.
    Sie hielt den Atem an und
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