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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht
Autoren: Monika Felten
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Gewand verschwinden zu lassen, während er sich straffte und umdrehte, als sei nichts geschehen.
    »Du?« Kavan musterte sein Gegenüber mit einer Mischung aus Erstaunen und Missbilligung.
    General Triffin war ein Krieger, der einem Heldenepos entsprungen schien. Ein Mann wie ein Bär, groß, mit breiten Schultern und Oberarmen, die man selbst mit beiden Händen nicht umfassen konnte. Eine lange Narbe zog sich von seinem rechten Ohr bis hinab zum Kinn und verlieh ihm ein verwegenes Aussehen, ein Eindruck, der von der Klappe über dem rechten Auge noch verstärkt wurde. Dabei war Triffin alles andere als ein Barbar. Er galt als klug und besonnen, und wenn er sich den Rakschun gegenüber auch unbarmherzig zeigte, stand das Wohl seiner Männer für ihn immer an erster Stelle. Die Krieger verehrten ihn und folgten ihm bedingungslos – wenn es sein musste, bis in den Tod.
    »Was gibt es?« Prinz Kavan spürte, dass seine Stimme bebte und ärgerte sich. Er konnte nur hoffen, dass Triffin es vor dem Hintergrund des immer lauter werdenden Kampfgetümmels nicht bemerkte. »Dein Platz ist nicht hier, meine ich.«
    »Verzeih, aber wir können die Festung nicht länger halten.« Triffin gab sich keine Mühe, den Schmerz über die schmähliche Niederlage zu verbergen. Zum ersten Mal in seinem Leben sah Kavan den Hünen bestürzt, mutlos und erfüllt von Sorge.
    »Das ist mir nicht entgangen.« Kavan hob die Stimme gerade so weit an, dass es verwundert klang. Auf unbestimmte Weise fühlte er sich dem General in diesem Augenblick überlegen. Nicht, weil er mutiger war, und auch nicht, weil er noch an einen Sieg glaubte. Schon die Tatsache, dass er seine Gefühle besser verbergen konnte, verschaffte ihm Genugtuung.
    »Und?« Triffin ballte in mühsam beherrschter Ungeduld die Hände zu Fäusten.
    »Was und?« Kavan zog eine Augenbraue in die Höhe, ein Mienenspiel, das er von seinem Vater übernommen hatte. Er wusste, dass der Zeitpunkt mehr als unpassend für lange Diskussionen war, aber gerade deshalb genoss er es, den General auf die Folter zu spannen. Es war vielleicht das letzte Mal, dass er dem Mann gegenüberstand, dem das Volk die Achtung und Bewunderung entgegenbrachte, nach der Kavan sich immer gesehnt hatte, und er genoss es, ihm in diesem letzten Moment zeigen zu können, wer von ihnen die größere Macht besaß.
    »Prinz Kavan!« Triffin nahm einen tiefen Atemzug, trat einen Schritt vor und suchte den Blick des Prinzen. »Die Rakschun haben den inneren Ring durchbrochen. Unsere Männer sterben wie die Fliegen. Du musst den Rückzug befehlen, sonst sind wir verloren.«
    »Rückzug?« Kavans Stimme klang hell und schrill, als er das Wort auf eine Weise wiederholte, die keinen Zweifel daran ließ, wie sehr er den Gedanken verabscheute. »Du kennst die Befehle«, sagte er von oben herab. »Von einem Rückzug ist darin nicht die Rede.«
    »Aber die Krieger …«
    »Erfüllen ihre Pflicht.« Kavan bemerkte selbstgefällig, dass er dem wütenden Blick des Älteren mühelos standhielt. Da es für ihn keine Rückkehr gab, erschien es ihm nur gerecht, wenn auch die anderen ihr Leben ließen. Beflügelt von dem Gefühl der Überlegenheit, neigte er den Kopf leicht zur Seite und fügte spitz hinzu: »Solltest du als ihr Anführer nicht an ihrer Seite sein?«
    »Sie sterben, Hoheit«, wiederholte Triffin finster und packte den Prinzen grob am Arm. »Sie sterben um eines Befehls willen, der so widersinnig ist wie der Versuch, die Flut vom Strand fernzuhalten. Die Rakschun überrennen uns. Wir müssen die Festung aufgeben, über die Brücke fliehen und sie zerstören. Am anderen Ufer sind wir in Sicherheit. Die Rakschun haben keine Boote. Es wird Monate dauern, bis sie uns folgen können.«
    »Du wagst es, die Hand gegen deinen Prinzen zu erheben und die Befehle deines Königs infrage zu stellen?« Kavan löste sich aus dem Griff des Generals und rieb sich den Arm. »Es tut mir leid«, sagte er wohl wissend, dass Triffin die Lüge durchschauen würde. »Aber es steht mir nicht zu, die Befehle meines Vaters zu ändern. Und selbst wenn, ich würde es nicht tun. Die Brücke soll gehalten werden. Ich muss dir nicht sagen, wie wichtig sie ist. Deshalb wird die Festung verteidigt. Bis zum letzten Mann – verstanden? Jetzt verschwinde und …« Weiter kam er nicht.
    Das Letzte, was er sah, war Triffins Gesicht, das zu einer ausdruckslosen Maske erstarrt schien. »Vergebt mir, mein Prinz«, hörte er den General murmeln, dann traf ihn ein
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