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Kriminalgeschichte des Christentums Band 03 - Die Alte Kirche

Kriminalgeschichte des Christentums Band 03 - Die Alte Kirche

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 03 - Die Alte Kirche
Autoren: Karlheinz Deschner
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»gleichsam durch die allgemeine Übereinstimmung des Volkes kanonisiert« (Naegle). Die Kritiklosigkeit ging aber im Lauf der Zeit so weit, daß die Päpste sich das Recht der Selig- und Heiligsprechung reservierten. Das heißt gewiß nicht, sie seien kritisch vorgegangen. Hier Selbstkritik zu erwarten, wäre der Gipfel des Grotesken in einem Bereich, in dem alles grotesk ist. Zum Beispiel auch die Tatsache, daß noch heute oder heute wieder sogar hochzuschätzende Menschen (darunter Autoren wie Canetti, ja Cioran) das Wort »heilig« bloß mit numinosen Schauern aussprechen können, obwohl sich fast stets das Schlimmste dahinter verbirgt; und je leuchtender die Gloriole um das Kriminelle, desto schrecklicher. Erwägt man den verheerenden Einfluß all dieser »Heiligenleben« auf die Erziehung der menschlichen Gesellschaft zum Vorteil (nicht nur!) der römischen Hierarchen, so
klingt
es nicht bloß wie Hohn, behauptet Papst Pius XI. – der entscheidende Förderer des Faschismus in allen seinen Varianten! – in einem Rundschreiben vom 31. Dezember 1929 über die christliche Erziehung der Jugend: »Die Heiligen haben in vollkommenstem Grade das Ziel der christlichen Erziehung erreicht und dabei die menschliche Gemeinschaft mit allen Arten von Gütern veredelt und beglückt. Die Heiligen waren, sind und werden in der Tat immer die größten Wohltäter und vollendetsten Vorbilder der menschlichen Gesellschaft bleiben, für jede Klasse und jeden Beruf, für jeden Stand und jede Lebenslage« 104 .
    Nachdem wir im Vorstehenden schon ausführlich das miraculum sigillum mendacii, wie Schopenhauer zu sagen liebte, betrachtet haben, erwartet hoffentlich niemand, daß wir nun das mirum quoad nos betrachten, das mirum in se, das absolute und das relative Wunder, das substantielle (quoad substantiam) und modale (quoad modum), das übernatürliche (supra naturam), das widernatürliche (contra naturam), das außernatürliche (praeter naturam), das kosmologische, anthropologische, historische, das Natur- und Geisteswunder, das intellektuelle und moralische, etc. etc. – wir müßten denn noch verrückter sein als all jene, die vor fast zweitausend Jahren oder noch vor zweihundert Jahren daran geglaubt haben oder die vielleicht heute noch daran glauben. (Ich glaube, daß sehr vieles möglich ist, wovon unsrer Schulweisheit nichts träumt; aber an ausgemachten Blödsinn glaube ich nicht.) Kaum zu glauben, daß noch ein Ludwig Feuerbach das Wunder als solches so ernst genommen und auseinandergenommen hat. Schon Louis Büchner staunte darüber und fand es seinerseits »wunderbar, wie ein so klarer und scharfsinniger Kopf ... so viele Dialektik aufzuwenden für nötig hielt, um die christlichen Wunder zu widerlegen« 105 .
    Als wäre die entscheidende Wunderkritik nicht schon geleistet gewesen! Durch Spinoza etwa, nach dessen berühmtem Satz das Beweisen einer Religion durch Wunder nichts anderes heißt als »eine dunkle Sache durch eine noch dunklere aufhellen zu wollen«. Durch Bayle, der den Glauben an das Wunder das Wesen des Wunders nennt und treffend definiert, »je mehr ein Wunder der Vernunft widerspricht, desto mehr entspricht es dem Begriff des Wunders«. Durch Lessing, demzufolge zufällige Geschichtswahrheiten der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden können. Der schrieb: »Ein anderes sind Wunder, die ich mit meinen eigenen Augen sehe und selbst zu prüfen Gelegenheit habe, ein anderes sind Wunder, von denen ich nur historisch weiß, daß sie andere wollen gesehen und geprüft haben. Nachrichten von Wundern sind nicht Wunder« 106 .
    Auch Voltaire natürlich und Hume gehören hierher. Und im 19., im 20. Jahrhundert gaben dann selbst die (evangelischen) Theologen das Wunder preis. War es die »vollkommenste Überzeugung« Schleiermachers, »daß alles in der Gesamtheit des Naturzusammenhangs vollständig bedingt und begründet ist«. War es ebenso die Überzeugung Harnacks, daß es »als Durchbrechung des Naturzusammenhangs keine Wunder geben kann«. »Jedes einzelne Wunder«, schreibt Harnack, »bleibt geschichtlich völlig zweifelhaft und die Summation des zweifelhaften führt niemals zur Gewißheit«. War auch für den Theologen Bultmann ein Wunder eine den Menschen nicht mehr nachvollziehbare Zumutung, da es unmöglich sei, sich Wunder als Ereignisse contra naturam zu denken 107 .
    Aber hat nicht die Quantenphysik diese Argumentation hinweggefegt? Ist die Naturgesetzlichkeit seither nicht völlig
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