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Kreuzzug

Kreuzzug

Titel: Kreuzzug
Autoren: Marc Ritter
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derzeitigen Stand der Dinge ist ein Zug verunglückt. Es gab wohl einen Felssturz im Tunnel. Wir wissen noch nichts über die Lage der Menschen im Zug. Aber das ist nur noch eine Frage von Minuten. Die professionellen Helfer der Bayerischen Polizei, des Bayerischen Roten Kreuzes und des Technischen Hilfswerks sind vor Ort.«
    »Und wodurch bedingt sich Ihre Anwesenheit?«
    »Ein Landesvater hat dort zu sein, wo Not in seinem Land herrscht. Ich war auf dem Weg nach Garmisch, um das traditionelle Hornschlittenrennen zu besuchen. Aber dieses Ereignis hier hat natürlich Vorrang. Ich leite ab sofort den Krisenstab persönlich und werde Sie umgehend informieren, sobald sich etwas ereignet. Danke schön.«
     
    Ronny Vierstetter schlenderte über den Parkplatz und drehte seine Runde. Seine Leute befanden sich an den Zu- und Abfahrten, um die immer noch anrückenden Rettungsfahrzeuge sinnvoll zu positionieren und Touristenautos zurück ins Tal zu schicken. Unter den vor der Zahnradbahn und der Seilbahn wartenden Ausflüglern hatte sich mittlerweile herumgesprochen, dass dort oben etwas passiert sein musste und die Auffahrt auf Deutschlands höchsten Berg an diesem Tag nicht mehr möglich war. Nun galt es, mit sanftem Druck dafür zu sorgen, dass die Leute nicht als Schaulustige die Rettungsaktion behinderten. Nicht in allen Fällen herrschte sofort Einsicht. Viele glaubten, der Ausfall des Gipfelbesuchs gäbe ihnen ein Sonderrecht für exklusives Gaffen. Überhaupt, so belehrte ein russischer Besucher gerade eine junge Polizistin, der Ronny Vierstetter zu Hilfe eilte, sei dies ein freies Land, und er könne machen, was er wollte. Vierstetter mit seinem rudimentären Schulrussisch klärte den Mann darüber auf, dass es auch in einem freien Land Benimmregeln und den Tatbestand der Behinderung von Einsatzkräften gab. Darauf schwang sich der Tourist mitsamt seiner mit Glitzerschmuck behangenen Ehefrau in den gemieteten S-Klasse-Mercedes und rauschte davon. Für die Flüche, die er dabei ausstieß, reichte Vierstetters Russisch nicht, und das war wohl gut so.
    Die schwierigeren Fälle waren die, die angaben, in dem Zug, der als letzter nach oben gefahren war, befänden sich Angehörige oder Freunde. Vierstetter richtete in einem Polizei-Bus, den er vor dem Zahnradbahnhof abstellen ließ, eine provisorische Vermisstenstelle ein. Schon nach kurzer Zeit standen rund zwanzig Menschen an, um ihre Personalien und die der Vermissten aufnehmen zu lassen.
    Als eine in der Schlange stehende Frau in zweihundert Meter Entfernung den Ministerpräsidenten sah, lief sie in ihren Skistiefeln auf die Gruppe mit dem Fernsehteam zu.
    »Herr Ministerpräsident, Sie müssen mir helfen! Was ist da los? Mein Bub ist in dem Zug!«
    Der Kameramann hatte nach den Statements des Politikers die Kamera bereits ausgeschaltet und von der Schulter genommen. Er bekam sie gerade rechtzeitig wieder zurück in die Aufnahmeposition, um die dramatische Szene zu filmen. Die Frau war um die vierzig und stand nun direkt vor Lackner, der seine Bodyguards mit einer beschwichtigenden Geste angewiesen hatte, vorerst nichts zu unternehmen.
    Die Frau brach in Tränen aus.
    »Helfen Sie uns, wir müssen da rauf und unsere Kinder retten. Er ist zwölf, verstehen Sie? Zwölf. Warum tut denn keiner was?«
    »Gnädige Frau, seien Sie versichert, dass wir alles in unserer Macht …«
    »Ja ja, die Sprüche kenn ich schon, das sagt ihr immer. Warum fährt denn da niemand hinauf? Was ist mit der Bergwacht? Feuerwehr? Die stehen alle nur hier unten rum!«
    »Die Rettungsaktion läuft bereits an, und alle geben ihr Bestes. Jetzt beruhigen Sie sich bitte.«
    Lackner konnte sich diese Szene vor der TV -Kamera nicht länger leisten. Bisher machte er eine gute Figur, wie er fand, aber die Situation konnte jeden Moment eskalieren. Besonders, wenn noch mehr Angehörige ihn entdeckten. Er musste weg.
    Lackner machte ein ungewöhnliches Angebot.
    »Kommen Sie mit mir in unser Lagezentrum drüben im Hotel. Dann können Sie sich selbst davon überzeugen, dass mit Hochdruck an der Rettung der Zugpassagiere gearbeitet wird.«
    Die Frau hängte sich an den Arm eines Personenschützers, und Lackner verschwand mit seinem Gefolge in Richtung Eibsee-Hotel. Der Kameramann filmte der Gruppe ein paar Meter hinterher. Dann bewegte sich das TV -Team hinüber zu den vor dem Polizei-Bus wartenden verzweifelten Angehörigen. Weitere Storys mit reichlich
human touch
warteten darauf, festgehalten und hinaus
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