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Kreuzstich Bienenstich Herzstich

Titel: Kreuzstich Bienenstich Herzstich
Autoren: Tatjana Kruse
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ging dann auf sein Zimmer. Seit dem Unfall war er vom dritten Stock ins Erdgeschoss umgezogen und bewohnte das ehemalige Esszimmer. Dank der Hanglage der Stadt befand er sich zwar vom Haupteingang aus gesehen im Erdgeschoss, von der anderen Hausseite jedoch im zweiten Stock mit Blick auf den Unterwöhrd und das Haller Globe Theater.
    Seifferheld schloss die Tür hinter sich und Onis und schob den Riegel vor.
    Der Hund legte sich in das Quadrat aus Sonnenlicht, das durch das Fenster auf den ausgetretenen Perserteppich fiel.
    Seifferheld humpelte zur schweren Holztruhe unter dem Fenster, ging mühsam in die Knie, nahm seinen Schlüsselbund vom Karabinerhaken am Gürtel und öffnete das Vorhängeschloss.
    Dann schlug er den Deckel der Truhe auf und holte seine Stickarbeit heraus.
    Jawohl, er stickte.
    Vornehmlich Kissenbezüge.
    Nie auf Flockenbast oder grobem Leinen, immer auf feinem weißen Leinen oder Aida. Und am liebsten mit aufwendigem Muster rund um einen Sinnspruch.
    Seifferheld war nicht stolz darauf. Lieber hätte er Kampfkunst betrieben, hätte im Schützenverein geballert oder wenigstens den dicken Hecht aus dem Kocher gefischt,hinter dem sämtliche Hobbyangler einschließlich Pizzeriapionier Cesare Rebellato seit Jahren her waren.
    Aber nein, sein Herz schlug nur für Nadel und Faden.
    Das wusste natürlich niemand.
    Niemand in seiner Familie.
    Niemand in Schwäbisch Hall.
    Aber man kann nicht alles für sich sticken, wo soll man denn die ganzen Kissen hinlegen. Folglich suchte er sich Gleichgesinnte im Internet. Dazu ging er regelmäßig in das Spielcasino am Haalplatz, in dem auch öffentliche Internetplätze zur Verfügung standen. Angeblich wollte er dort undercover die Glücksspielaktivitäten im Auge behalten, wie er seiner Schwester und seiner Tochter erzählte. Irmi und Susanne schüttelten darüber nur die Köpfe.
    In Wirklichkeit tauschte er sich mit den anderen vierunddreißig Mitgliedern von
Stickliesel
aus, einer Gruppe von leidenschaftlichen Stickern aus ganz Deutschland, ausnahmslos Männer.
    Der Austausch war klasse. Man lernte eine Menge. Und inspirierte sich gegenseitig zu immer neuen Höchstleistungen. Es gab auch die Untergruppe
UFO,
Un-Fertige Stickereien. Dort motivierte man sich, die Sticksachen, die aus welchem Grund auch immer einfach nicht fertig werden wollten, entweder zu einem guten Ende zu bringen oder sie jemandem zu schicken, der sie gern für den anderen fertig stellte.
    Auf diese Weise hatte Seifferheld auch Karl-Heinz kennengelernt, der in Rothenburg ob der Tauber einen Souvenirladen, vornehmlich für japanische Touristen, betrieb. Das Wort Kitsch erhielt in diesem Laden eine völligneue Bedeutung. Karl-Heinz hatte damals verzweifelt Leute gesucht, die ihm schnuffige Kissen mit Aufschriften wie »Aber über allem die Liebe« oder »Auf ewig Dein« stickten. Bei ihm wurde Siggi also seine Kissen los. Ein perfektes Arrangement. Natürlich kannte er Karl-Heinz nur virtuell. Seifferheld schickte ihm die Kissenbezüge zu und erhielt dafür regelmäßig einen Scheck. Getroffen hatten sie sich nie. Das wäre zu gefährlich gewesen. Sie durften nicht zusammen gesehen werden.
    Seifferheld hatte einen Ruf zu verlieren!
    Um sein Geheimnis zu wahren, konnte er seinen Stickbedarf natürlich nicht in Schwäbisch Hall erwerben, im Traditionshaus Zwing, an dessen Schaufenster er immer sehnsüchtig vorbeipilgerte und oft so tat, als müsse Onis das Bein heben, damit er neue Lieferungen von Effektgarnen oder Entaco-Nadeln in Ruhe betrachten konnte.
    Nein, Seifferheld musste bei der Tentakulum Manufaktur bestellen, einem Versandanbieter, der das gesamte Zubehör im Angebot hatte und auf Wunsch – ganz im Stil von Beate Uhse – in diskreten Pappkartons mit nicht zuzuordnender Absenderangabe lieferte. Seifferhelds großes Ziel war es, die fast sechshundert Farben des siebenfädigen Sticktwistes Soie d’Alger der Firma Au Ver à Soie aus Paris durchzuprobieren. Er war erst bei der hundertzwölften angelangt, es lag also noch einiges vor ihm.
    Seifferheld plante nicht, mit seinem Hobby jemals an die Öffentlichkeit zu gehen. Echte Kerle sticken nicht, auch wenn Raimund Harmsdorf angeblich nicht nur rohe Kartoffeln mit seinen Quadrathänden zermalmte, sondern mit seinen Händen auch Norwegerpullis strickte.
    Stricken ging ja noch.
    Aber sticken?
    Nein.
    Wenn ein Mann zugab, gern zu sticken, zog er damit die gesellschaftliche Ächtung auf sich. Und die Verachtung seiner Mitmenschen. Da dachte
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