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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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Weile.
    «Ich möchte Ihnen sagen»- wieder stockte
er -,«dass in meinem Leben das Freudvollste mein Zusammensein… nein, ich muss die Wahrheit sagen… meine Bekanntschaft mit Ihnen war.»
    Anna wollte etwas entgegnen, vermochte es jedoch nicht. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt.
    Bechmetew fuhr fort:«Nie zuvor bin ich einer Frau begegnet mit einer solchen Aureole der Reinheit, Klarheit und Liebe zu allem Erhabenen, wie sie Sie umgibt. Was immer sein mag, Fürstin, Gott gebe Ihnen eines: das zu bleiben, was Sie sind.»
    Die Kutsche rollte weich gefedert den Waldweg entlang, es dunkelte, und Bechmetew blickte so ruhig und glücklich wie vor einem Jahr, als sie einmal zusammen aus der Stadt zurückgekehrt waren mit einer Kutsche voller Kinder, die sie zum Fotografieren hingebracht hatten, und beide wussten, dass es möglich ist, glücklich zu sein und zu lieben, aber so, wie man den klaren Himmel lieben und sich an ihm und an der herrlichen sommerlichen Natur erfreuen kann, an dem Glück zusammen zu sein. Doch das zu äußern ist unmöglich, ebenso wie es unmöglich ist, etwas zu tun, was auch nur den geringsten Anlass zu Schuldbewusstsein gegenüber ihren unschuldigen geliebten Kindern gäbe. Selbst die
Freude über diese Liebe sich einzugestehen ist unmöglich, eine reine, keusche, nie ausgesprochene Liebe, die jetzt, an diesem herrlichen Augustabend, mit ihm dahingeht, zusammen mit diesem idealen Verhältnis zu einem Mann, der in ihrer Seele all das erweckt hat, was in höchstem Maße erhaben und schön ist.
    «Wenn ich dann nach Hause komme, wird mich mein Mann argwöhnisch ansehen, mich der übelsten Verfehlungen verdächtigen und dabei meine entblößten Schultern und Arme küssen. Und den ganzen Tag werden wir uns wie zwei Verbrecher, die nachts Missetaten begehen, anschweigen, er mit seiner hochmütigen Verachtung und Gleichgültigkeit gegenüber meinem Leben und ich mit meiner Angst vor seinen Verdächtigungen, inmitten der einsamen Welt der Kinder, der Sorgen und des Kampfes mit der verlöschenden Liebe zu ihm und der entbrennenden zu einem anderen…»
    Sie fuhren immer weiter. Bechmetew hüllte sich fester in seinen Mantel und hustete; die unangenehm feuchte abendliche Kühle machte frösteln. Diese Fahrt durch eine ihr unbekannte Gegend schien sie gemeinsam einer ungewissen Ewigkeit entgegenzuführen, dorthin, wo es keine Trennung mehr gab.

    Die Sonne versank hinter dem Horizont.«Auch sie ist dahingegangen!», dachte Anna. Ihre letzten Strahlen tauchten plötzlich die Baumwipfel des Gartens, dem sich ihre Kutsche näherte, in grelles Licht.
    «Bald wird auch die ganze Natur dahingehen», dachte Anna wieder.«Und er? Nein, das ist unmöglich! Was soll dann den Inhalt meines Lebens bilden? Wo soll ich dann das reine Glück hernehmen, aus dem ich Kraft schöpfe, das mich besser, klüger, gütiger macht… Nein, das ist unmöglich! »Fast hätte sie es herausgeschrien.
    «Wir sind da», sagte Bechmetew leise, nahm wortlos Annas Hand, küsste sie lange und liebevoll und brachte noch leiser hervor:«Leben Sie wohl, liebe Fürstin.»
    Sie beugte sich hinab und küsste ihn auf die Stirn.
    Der Krampf, der sie die ganze Zeit gewürgt hatte, löste sich in einem leisen, schmerzlichen Stöhnen. Tränen traten ihr in die Augen, etwas erstarrte – für immer. Noch eine, diese Seite des Lebens war ihr entzogen auf ewig. Damit war es vorbei.
    Gleichwohl musste das Leben weitergehen, und zwar auf gute Weise …

    Die lärmende Gesellschaft war bereits in einer großen, runden, verschiedenfarbig illuminierten hübschen Laube versammelt. Man machte sich mit dem Essen, dem Tee, dem Obst zu schaffen, baute Sitze aus Brettern, hängte die letzten Laternen im Garten auf, entfachte ein Feuer und war mit all den närrischen, aber unverzichtbaren Attributen eines Picknicks befasst.
    Bechmetew wollte es nicht riskieren, bis spät zu bleiben, und fuhr, nachdem er sich von der Gesellschaft verabschiedet hatte, allein nach Hause, während Anna bis zum Schluss bleiben sollte. Als der Abend zu Ende ging und sie allein in einer Kutsche saß, im stählern-kalten Mondlicht der Augustnacht, wurde ihr ihre seelische Einsamkeit vollends klar, und plötzlich brach es aus ihr heraus. Sie begann qualvoll und lange zu weinen, als betrauere sie ein fremdes dahingegangenes Leben wie ihr eigenes, das sie verlassen hatte. Mit diesen Tränen aus wilder Verzweiflung fiel das Leid mehr und mehr von ihr ab. Als sie sich ihrem Haus näherte, gewann
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