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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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auf sie einredete:«Wenn ich dich bitte… Du erniedrigst mich mit deinem Verhalten diesem deutschen Jüngelchen gegenüber! Diese Nähe … Das alles machst du absichtlich!», schrie er in rasendem Zorn.
    Doch diesmal erzürnte auch Anna.«Du hast völlig den Verstand verloren! Besinne dich, was du redest! Wie kann man auf solche Gedanken kommen, wenn ein Kind leidet!»
    «Schweig! Deine Rechtfertigungen sind noch schlimmer als dein schändliches Benehmen! Geh lieber. Geh! Geh!», schrie der Fürst, stieß Anna zur Tür und warf sich auf den Diwan.
    Anna wankte hinaus. In ihrem Wohnzimmer griff sie sich an die Brust und flüsterte:«Es hat doch alles seine Grenzen! Mein Gott!»
    Sie weinte nicht. Ihre erstarrten Augen blickten fassungslos und hart. Im Schlafzimmer setzte sie sich in den Sessel vor dem Spiegel und sah sich unwillkürlich an. Ihre Entrüstung stand ihr vorzüglich: Das regelmäßige blasse Gesicht atmete Energie und Reinheit, und die Augen wirkten durch ihren bitteren Ausdruck noch dunkler und tiefer.
    Den Rest des Tages bekam Anna ihren Mann nicht mehr zu Gesicht. Da er auch zum Mittagessen
sein Arbeitszimmer nicht verließ, blieb sie allein mit den Kindern und den Hausgenossen. Die Kinder sprachen von dem Drachen, den sie am Nachmittag steigen lassen wollten, während Anna plötzlich beschloss, zu Warwara Alexejewna zu fahren.
    «Lassen Sie den Vierspänner vorfahren», sagte sie laut, damit ihr Mann es hörte.«Und Dunjascha soll das weiße Wollkleid für mich bereitlegen. »
    «Mama, wo fährst du hin? Fahr nicht!», bestürmten sie die Kinder.
    «Wo fährst du hin?», wollte Pawlik wissen.«Bring Dmitri Alexejewitsch mit, er war schon lange nicht hier.»
    Anna war das ganze Mittagessen über traurig gestimmt und antwortete nur knapp.
    Nach dem Essen ging sie, ohne zu ihrem Mann hineinzusehen, ins Schlafzimmer, zog sich um und fuhr los.
    Ihr Herz stockte vor Aufregung, Bechmetew wiederzusehen; diese Aufregung irritierte sie, doch der Wunsch, den Mann zu treffen, dessen Nähe auf so liebevolle Weise ihr Leben gestreift hatte und dermaßen dem widersprach, wie der Fürst sie behandelte, war nach der vorgefallenen rüden Szene so stark geworden, dass sie sich entschlossen
hatte, koste es, was es wolle, zu Warwara Alexejewna zu fahren und Bechmetew zu sehen – wahrscheinlich zum letzten Mal.

XI
    Als Anna das niedrige, aber recht geräumige Gästezimmer im Hause Warwara Alexejewnas betrat, war dort eine schon ziemlich große Gesellschaft versammelt. Nachbarn hatten sich eingefunden, alte Freunde und Verwandte, zwei, drei Fräulein, die mit einem jungen Mann am Klavier zusammenstanden, auch die umtriebige Jelena Michailowna war mit von der Partie, die so viel Leid in Annas Leben gebracht hatte. Bechmetew, deutlich abgemagert, hohlwangig und wehmütig gestimmt, saß allein da und trat, ohne sich zu verstellen und seine Freude zu verbergen, auf Anna zu.«Sie haben abgesagt und sind doch gekommen, was für eine freudige Überraschung. Es war für mich auch einfach unvorstellbar, abzureisen, ohne Sie noch einmal gesehen zu haben.»
    «Warum sind Sie denn nicht zu uns gekommen? », fragte Anna, während sie ihm die Hand reichte und er sie küsste.

    «Ja, natürlich, morgen wäre ich ganz bestimmt bei Ihnen vorbeigekommen, was ich auch tun werde, um mich von meinem kranken Freund zu verabschieden. Aber Sie sehen ja, wie schwach ich bin, ich weiß gar nicht, wie ich es bis Thera 31 schaffen soll», fügte er sanftmütig lächelnd hinzu.
    Anna seufzte tief und ging ins Wohnzimmer zu Warwara Alexejewna. Bechmetew folgte ihr.
    Warwara Alexejewna begrüßte Anna hastig, dankte ihr für ihr Kommen und kümmerte sich weiter um das Picknick, das für den Abend vorbereitet wurde und wofür sie ihre Anordnungen traf.«Bestehst du darauf, dass wir zum Teetrinken an den See fahren, Dmitri?», fragte sie ihren Bruder.«Es ist wirklich etwas feucht für dich.»
    «Nein, jetzt mehr denn je. Ich möchte der Fürstin die herrlichen Flecken zeigen, die ich wahrscheinlich nie mehr sehen werde.»Er lächelte wieder.
    «Als ob ihm der unvermeidliche nahe Tod Freude bereitete», dachte Anna.
    Sie setzten sich an das Fenster des Wohnzimmers, und Bechmetew sagte, auf seine Brust weisend, leise und ernst:«Hier ist etwas ganz und gar aus den Fugen geraten, Fürstin, schlecht geht es mir.»

    «Sie werden sich im Ausland wieder erholen.»
    «Wozu? Besser schnell dorthin, in die Ewigkeit! Hier ist es zu eng für mich
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