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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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Eisenbahnarbeiter stürmte herein,
und es war recht lange so laut, dass die Unterhaltung übertönt wurde. Als der Lärm sich legte und ich die Stimme des Anwalts wieder hörte, war das Gespräch von einem Einzelfall offenbar zu allgemeinen Erwägungen übergegangen. Der Anwalt sprach davon, wie die Frage der Ehescheidung derzeit die europäische Öffentlichkeit beschäftige, und dass es auch bei uns immer häufiger solche Fälle gebe. Als er bemerkte, dass nur noch seine Stimme zu hören war, unterbrach er seine Rede und wandte sich an den Alten:«Früher hat es so etwas nicht gegeben, nicht wahr?», sagte er mit einem liebenswürdigen Lächeln. Der Alte wollte etwas antworten, doch in diesem Moment setzte der Zug sich in Bewegung; der Alte nahm seine Mütze ab, begann sich zu bekreuzigen und im Flüsterton zu beten. Der Anwalt wandte den Blick ab und wartete höflich. Als der Alte sein Gebet beendet und sich dreimal bekreuzigt hatte, setzte er die Mütze wieder auf, zog sie tief in die Stirn, richtete sich auf und begann zu sprechen:«Gegeben hat es das auch früher, gnädiger Herr, nur weniger», sagte er.«Aber heutzutage ist es kein Wunder. Gar zu gebildet sind die Leute geworden.»
    Der Zug nahm Fahrt auf und donnerte über die Gleisschwellen, ich hatte Mühe, zu verstehen,
war aber interessiert, darum rückte ich näher. Auch mein Nachbar, der nervöse Herr mit den glänzenden Augen, war offensichtlich aufmerksam geworden und lauschte von seinem Platz aus.
    «Was haben Sie denn gegen Bildung einzuwenden? », sagte die Dame mit kaum merklichem Lächeln.«Ist es etwa besser, wie früher zu heiraten, als Bräutigam und Braut einander vorher nicht einmal kannten?», fuhr sie fort, nach der Gewohnheit vieler Damen nicht auf die Worte ihres Gegenübers antwortend, sondern auf die, von denen sie glaubte, dass er sie sagen würde.
    «Einfach irgendwen heiraten, ohne zu wissen, ob man sich liebt oder lieben kann, und sich dann ein Leben lang quälen, finden Sie das besser?», sagte sie und wandte sich dabei offensichtlich an den Anwalt und an mich, keineswegs aber an den Alten, mit dem sie sprach.
    «Gar zu gebildet sind die Leute geworden», wiederholte der Kaufmann mit verächtlichem Blick auf die Dame, ohne ihre Frage zu beantworten.
    «Man wüsste gern, wie Sie den Zusammenhang von Bildung und Unfrieden in der Ehe erklären», sagte der Anwalt und lächelte kaum merklich.

    Der Kaufmann wollte etwas sagen, doch die Dame fiel ihm ins Wort.«O nein, diese Zeiten sind vorbei», sagte sie. Aber der Anwalt bremste sie:«Warten Sie, lassen Sie den Herrn erst seinen Gedanken formulieren.»
    «Nichts als Dummheiten bringt diese Bildung», sagte der Alte entschieden.
    «Man verheiratet Leute, die sich nicht lieben, und dann wundert man sich, dass sie nicht miteinander auskommen», warf die Dame rasch ein und sah dabei den Anwalt und mich und sogar den Kommis an, der von seinem Sitz aufgestanden war und nun, auf die Rückenlehne gestützt, lächelnd der Unterhaltung lauschte.
    «Tiere kann man paaren, wie ihr Besitzer es will, aber Menschen haben ihre eigenen Neigungen und Sympathien», sagte sie, offensichtlich um den Kaufmann zu kränken.
    «So soll man nicht reden, gnädige Frau, Tiere sind Vieh, aber dem Menschen ist ein Gesetz gegeben.»
    «Aber wie soll man denn mit einem Menschen leben, wenn keine Liebe da ist?», beeilte sich die Dame, weiter ihre Ansichten vorzutragen, die ihr wahrscheinlich sehr originell vorkamen.
    «Danach hat man früher nicht gefragt», entgegnete der Alte mit Nachdruck,«das ist etwas
Neues. Sobald der Frau etwas nicht passt, sagt sie gleich: ‹Ich gehe.› Sogar bei den Bauern ist das jetzt Mode. ‹Da›, sagt sie, ‹da hast du deine Hemden und Fußlappen, ich gehe zu Wanja, der hat mehr Locken als du.› Was soll man dazu sagen. Fürchten soll sich die Frau, darauf kommt es an.»
    Der Kommis sah erst den Anwalt, dann die Dame und dann mich an, er unterdrückte ein Lächeln, jederzeit bereit, über die Worte des Kaufmanns zu lachen oder sie gutzuheißen, je nachdem, wie sie aufgenommen würden.
    «Wovor denn fürchten?», sagte die Dame.
    «Wovor? Das Weib aber fürchte den Mann ! 3 So soll es sein.»
    «O nein – diese Zeiten sind vorbei, guter Mann», sagte die Dame, nun schon etwas erbost.
    «Diese Zeiten können gar nicht vorbei sein, gnädige Frau. Eva wurde aus einer Rippe des Mannes erschaffen, und daran ändert sich bis ans Ende der Zeit nichts mehr», sagte der Alte und warf
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