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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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Rechtlosigkeit der Frau besteht nicht darin, dass sie kein Stimmrecht hat und kein Richteramt bekleiden darf- das sind ja keine wirklichen Rechte -, sondern darin, dass sie dem Mann sexuell nicht ebenbürtig ist, dass sie nicht das Recht hat, sich seiner
nach ihrem eigenen Wunsch zu bedienen oder zu enthalten, nach ihrem eigenen Wunsch einen Mann zu wählen, statt selbst erwählt zu werden. Sie sagen, das wäre auch abstoßend. Meinetwegen. Aber dann soll auch der Mann diese Rechte nicht haben. Heutzutage ist die Frau eines Rechts beraubt, das der Mann besitzt. Und um sich dafür zu entschädigen, wirkt sie auf die Sinnlichkeit des Mannes ein und macht ihn sich auf diesem Weg so gefügig, dass er nur noch formal auswählt, in Wirklichkeit aber wählt sie. Und kaum hat sie dieses Mittel in der Hand, missbraucht sie es auch schon und erlangt eine erschreckende Macht über die Menschen.»
    «Aber wo sehen Sie denn diese besondere Macht?», fragte ich.
    «Wo ich sie sehe? Überall, in allem. Gehen Sie in jeder beliebigen Großstadt durch die Geschäfte. Millionenwerte liegen dort, eine unschätzbare Menge an menschlicher Arbeit fließt dorthin, aber sehen Sie sich neunzig Prozent der Geschäfte an – gibt es dort auch nur irgendetwas für Männer? Aller Luxus im Leben existiert wegen und dank der Frauen. Überlegen Sie einmal, wie viele Fabriken es gibt. Ein gewaltiger Teil davon stellt nutzlosen Schmuck, Kutschen, Möbel und Spielzeug für Frauen her. Millionen von Menschen,
Generationen von Sklaven gehen an der Schwerstarbeit in diesen Fabriken zugrunde, nur für die Launen der Frauen. Die Frauen sind die Königinnen, die neunzig Prozent der Menschheit in Sklaverei und schwerer Arbeit gefangen halten. Und all das, weil man sie erniedrigt und ihnen nicht die gleichen Rechte wie den Männern gewährt. Dafür rächen sie sich, indem sie auf unsere Sinnlichkeit einwirken und uns in ihre Netze locken. Ja, alles kommt nur davon. Die Frauen haben aus sich selbst ein so starkes Werkzeug zur Beeinflussung unserer Sinnlichkeit gemacht, dass ein Mann mit einer Frau keinen ruhigen Umgang pflegen kann. Sobald ein Mann einer Frau nahe kommt, verfällt er ihrer berauschenden Wirkung und verliert den Kopf. Ich habe mich auch früher schon immer befangen und unbehaglich gefühlt, wenn ich eine herausgeputzte Dame im Ballkleid sah, jetzt aber macht mir dieser Anblick geradezu Angst, ich sehe darin geradezu eine Gefahr für die Menschen, etwas Widerrechtliches, und am liebsten würde ich nach der Polizei rufen und verlangen, dass sie mich vor der Gefahr schützt und den gefährlichen Gegenstand entfernt.
    Ja, Sie lachen!», schrie er mich an.«Aber ich meine es ganz ernst. Ich bin sicher, die Zeit wird
kommen, und vielleicht schon sehr bald, in der die Menschen das begreifen und sich wundern werden, dass es einmal eine Gesellschaft gab, die ein so unruhestiftendes Verhalten zuließ wie die unsere, dieses Ausstaffieren des eigenen Körpers, mit dem die Frauen bei uns die Sinnlichkeit provozieren. Das ist doch genauso, als würde man auf Promenaden und Fußwegen alle möglichen Fallen aufstellen – sogar schlimmer! Weshalb ist das Glücksspiel verboten, aber Frauen in aufreizenden Hurenkleidern sind erlaubt? Sie sind tausendmal gefährlicher!»

X
    «Auch mich haben sie also eingefangen. Ich war, was man verliebt nennt. Nicht nur sah ich in ihr den Gipfel der Vollkommenheit, dasselbe glaubte ich in dieser Brautzeit auch von mir selbst. Schließlich gibt es keinen Halunken, der, wenn er sucht, nicht noch andere Halunken fände, die in irgendeiner Hinsicht schlimmer sind als er, und der darin nicht einen Anlass zum Stolz und zur Selbstzufriedenheit sähe. So auch ich: Ich heiratete nicht das Geld – materielle Vorteile spielten in meinem Fall keine Rolle, anders
als bei der Mehrzahl meiner Bekannten, die des Geldes oder der Verbindungen wegen heirateten -, ich war reich, sie war arm. Das war das eine. Das Zweite, worauf ich mir etwas zugutehielt, war, dass andere in der Absicht heirateten, auch in der Ehe dieselbe Vielweiberei fortzusetzen wie zuvor; ich dagegen hatte die feste Absicht, nach der Hochzeit monogam zu leben, und mein Stolz *darauf kannte keine Grenzen. Ja, ich war ein entsetzliches Schwein und hielt mich für einen Engel.
    Meine Zeit als Bräutigam währte nicht lange. Heute kann ich ohne Scham nicht einmal daran denken. Widerlich! Was man sich vorstellt, ist ja eine geistige Liebe, keine sinnliche. Und wenn es um geistige
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