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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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müsste sie jeden Moment ins Zimmer treten.
    Am dritten Tag wurde sie unter Wehklagen aus dem Haus getragen, an langen Leinenbändern in die ewig grauenerregende Grube hinuntergelassen, aus der es einen das geliebte Wesen wenigstens für einen kurzen Moment herauszuholen
stets verlangt, und mit Erdbrocken zugeschüttet, die auf den Sargdeckel polterten.
    Nun war sie mit der Natur verschmolzen, die sie so geliebt hatte, und mit ihr in die Ewigkeit eingegangen …
    Der Fürst begriff, dass sie nicht mehr war, dass er sie nicht erst mit diesem weißen Stück Marmor umgebracht hatte, sondern schon lange vorher, weil er sie nicht gekannt und nicht zu schätzen gewusst hatte … Er begriff, dass die Liebe, die er ihr gegeben hatte, sie umgebracht hatte, dass er sie nicht so hätte lieben dürfen. Jetzt, da ihr Körper ihm genommen war, begann er ihre Seele zu verstehen. Mehr und mehr lernte er, diese ihm entflogene zärtliche und reine Seele zu schätzen, die ihn geliebt, die so viele Jahre auf so fröhliche und vielfältige Weise sein Leben und das ihrer Kinder befruchtet hatte – und es drängte ihn, seine Seele mit der ihrigen zu vereinigen …
    Freunde und Bekannte des Fürsten begannen davon zu sprechen, dass er ein überspannter Spiritist geworden sei und sie sich Sorgen machten um seinen geistigen Zustand.
    Einen Monat nach Annas Tod kam die Nachricht, dass Bechmetew im Ausland gestorben war.

EINE FRAGE DER SÜHNE
    Nachwort von Oleg Jurjew

SIE IST WUNDERVOLL IN JEDER BEZIEHUNG. UND ICH – WIDERLICH …
    «Ihre Familie ist der irrigen Ansicht, ich sei in Ihre Schwester Lisa verliebt. Das ist nicht richtig … Ich bin nicht imstande zu gehen und wage nicht zu bleiben. Sie sind ein ehrlicher Mensch, Hand aufs Herz, nur keine Übereilung, um Gottes willen keine Übereilung, sagen Sie mir: Was soll ich tun, worüber man früher lachte, macht man jetzt selbst. Noch vor einem Monat hätte ich mich kaputtgelacht, wenn jemand mir gesagt hätte, dass man so leiden kann, wie ich derzeit leide – und glücklich leide. Sagen Sie mir als ehrlicher Mensch: Wollen Sie meine Frau werden?»
    So hält der vierunddreißigjährige Graf Lew Nikolajewitsch Tolstoi, ein reicher Gutsbesitzer und einer der berühmtesten russischen Schriftsteller seiner Zeit, um die Hand der achtzehnjährigen Sofja Behrs, der mittleren Tochter eines Moskauer Arztes, an. Die Ansicht der Familie Behrs über Tolstois Heiratspläne war nicht so falsch, wie er in seinem Heiratsantragsbrief behauptete.
Zunächst war er tatsächlich in die ältere Tochter Lisa verliebt und zeigte das unzweideutig. Dann richtete sich der Strahl seiner Liebe auf Sofja, Sonja:«Ich bin so verliebt, wie ich nicht glaubte, dass man lieben kann. Ich bin verrückt und werde mich erschießen, wenn es so weitergeht. War bei ihnen am Abend. Sie ist wundervoll in jeder Beziehung. Und ich – widerlich…», schrieb er am 12. September 1862 ins Tagebuch.

    Hinter ihm, dem früh verwaisten Sohn einer Hochadelsfamilie, lag ein ereignis-, erfahrungs-, gedanken- und gefühlsreiches Leben. Eine zerstreute Jugend. Eine regelrechte Selbstverbesserungsmanie. Ein nicht vollendetes Studium an der Kasaner Universität (zunächst orientalische Sprachen, dann Recht). Glücksspiel, Frauen, Musik, Jagd. Zwei Kriege: der im Kaukasus (1851-1853) und der Krimkrieg (1853-1856). Die Literatur: Er war der aufgehende Stern am literarischen Himmel Russlands, sogar Zar Nikolaus I. wurde auf eine seiner Novellen über die Belagerung Sewastopols aufmerksam und befahl, das junge Genie zu schonen. Aber Tolstoi blieb an vorderster Front, er war ein tapferer Offizier (was nicht bedeutete, dass er den Tod nicht fürchtete, im Gegenteil) und verachtete Drückeberger.
Nach dem Krieg lange Reisen im Ausland. Der Schwindsuchttod seines Lieblingsbruders Nikolai – in seinen Armen. Liebesaffären, darunter eine mit der eigenen Leibeigenen Axinja. Der Entschluss, nun zu heiraten und sein Glück im Familienleben zu finden. Das detaillierte Szenario dieses Familienglücks – der kleine Roman Familienglück (1859). Dann begann Tolstoi das Haus und die Datscha von Doktor Behrs zu frequentieren.
    Hinter ihr lag beinahe nichts. Ein gut erzogenes, gebildetes, behütetes und ruhiges Mädchen mit sonnigem Gemüt aus einer kultivierten Familie, deren Ahnherr im 18. Jahrhundert als Offizier aus deutschen Landen nach Russland gekommen sein soll. Anfang des 19. Jahrhunderts besitzt die Familie eine Apotheke, die im Moskauer Brand von
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