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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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1812 in Rauch aufgeht. Sogar der Adeligenstatus war strittig, alle Papiere seien zusammen mit der Apotheke verbrannt, so argumentierte der Vater von Sonja Behrs, als er den Zaren um die Wiedererhebung in den Adelsstand bat (was auch geschah). Bücher, Musik, Gesellschaftsspiele mit Schwestern und Freunden, die geliebte Datscha nicht weit von Moskau, wo die Familie ihre Sommer verbrachte. Sie war bereit zu lieben und zu leben, und wer war besser
geeignet, sie durch das Leben zu führen, als der alte Freund des Hauses, der romantische Kriegsheld und berühmte Autor, Graf Lew Nikolajewitsch Tolstoi?
    Am 23. September 1862 heirateten Lew Tolstoi und Sofja Behrs.

DAS FAMILIENGLÜCK NACH PLAN
    Seine Rechnung war aufgegangen. Es kam so, wie Tolstoi es in seinem Familienglück entworfen hatte: Ein älterer Herr heiratet ein junges, reines Wesen, das nach einiger Eingewöhnung zur richtigen Frau, Freundin, Mitarbeiterin und Mutter wird. Die nächsten anderthalb Jahrzehnte waren in der Tat die produktivsten für ihn und – nicht zu vergessen – die fruchtbarsten für die Weltliteratur. In dieser Zeit entstanden beide großen Romane: Krieg und Frieden und Anna Karenina . An allem, was er tat, hatte auch sie Anteil, die Gräfin Sofja Tolstaja. Mit ihrer angeborenen Geschäftstüchtigkeit stabilisierte sie die Familienwirtschaft (nicht nur die Landwirtschaft, auch auf seine Honorare warf sie einen aufmerksamen Blick), was zu einer erheblichen Erhöhung der Einkünfte führte, sie war seine erste Leserin
und«Reinschreiberin»(allein das Krieg und Frieden -Manuskript schrieb sie siebenmal nacheinander ins Reine). Sie gebar ihm dreizehn Kinder (bei sechzehn Schwangerschaften). Das war sicher kein ungetrübtes Familienleben, beide waren sehr impulsiv, um nicht zu sagen hysterisch, und die Fetzen flogen sehr oft im Herrenhaus Jasnaja Poljana, aber im Großen und Ganzen durften sie stolz sein auf das, was sie gemeinsam geschaffen hatten – ein literarisches und wirtschaftliches Tolstoi-Imperium. Wenn es nicht bei Lew Tolstoi eine andere Beziehung gegeben hätte, die ihm verbot, dieses Leben so weiterzuleben – weiter schöne (und gutes Geld bringende) Romane und Erzählungen zu schreiben, weiter Bauernkinder zu unterrichten, weiter Grafenkinder zu zeugen, diese zu erziehen und in die weite Welt zu entlassen (was aber dennoch geschah, der Graf wurde oft rückfällig, und nicht nur im ehelichen Bett, auch am dichterischen Schreibtisch), sich weiter mit seiner Frau zu bekriegen und zu versöhnen, bis dass der Tod sie scheiden würde. Und damit ist der Hauptrivale von Sofja Andrejewna genannt: der Tod.
    Oft wird missverstanden, warum Lew Tolstoi all diese schmerzlichen Wendungen in seinem Leben vollzog, warum er allem entsagen wollte,
was er geschaffen hatte, was ihn groß und berühmt gemacht hatte. Oft sieht man seine Besessenheit von Moral- und Religionsfragen entweder als eine Sache des unermesslichen Stolzes und Ehrgeizes oder als eine lächerliche Marotte. Doch für Tolstoi war sie eine Lebensnotwendigkeit.
    Es gab vielleicht keinen Menschen auf der Welt, der so stark auf sein eigenes Leben und auf seinen eigenen unabwendbaren Tod konzentriert war wie dieser russische Graf. Unabwendbar? Darauf wollte er es einfach nicht beruhen lassen. Er wollte den Tod abwenden. Im Vergleich zu dieser Aufgabe war alles andere – Reichtum, Kinder, Literatur – einfach mickrig. Er sprach das deutlich in seiner Beichte aus, die mit der ihm eigenen Plastizität und halluzinatorischen Macht ein Leben voller Todesfurcht darstellt:

    «‹Na gut, du wirst 6000 Desjatinen im Samaragebiet haben, 300 Pferde, und was weiter?› Und ich stand vollkommen neben mir und wusste nicht, was ich weiter glauben sollte. Oder ich begann darüber nachzudenken, wie ich meine Kinder erziehen würde, und fragte mich: ‹Wozu?› Oder ich überlegte, wie das gemeine Volk zu Wohlstand
kommen könnte, und sagte mir plötzlich: ‹Was geht aber mich das an?› Oder ich stellte mir den Ruhm vor, den mir meine Werke bringen würden, und sagte mir: ‹Nun gut, du wirst berühmter sein als Gogol, Puschkin, Shakespeare, Molière, als sämtliche Dichter der Welt – na und?›»

    Geld, Einfluss, Ruhm – all das war im Vergleich zum Tod unwesentlich. Das«richtige Leben», die«richtige Moral», das«richtige Christentum»waren für ihn nur Mittel gegen den Tod. Und alles, was ihn bei der Suche nach diesem Zaubermittel störte, was ihn ablenkte, war sein Feind. In erster
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