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Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Titel: Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
Autoren: Raik Thorstad , Jannis Plastargias , C. Dewi , Gerry Stratmann
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versehentlich mit den scharfen
Kanten kleinere Verletzungen zugefügt, die immer schlechter abheilten. Ein Blick auf die Digitalanzeige des DVD-Players bestätigte beiden, dass genau fünf Minuten vergangen
waren.
    Sebastian stand auf und half Noah, sich flach auf die Couch zu legen, platzierte seine Hände unter dessen Brust, an dem Punkt, an dem die Rippen zusammenliefen, und spürte nach, wie
tief er atmete.
    Sebastian zählte an und Noah nahm folgsam seine Atemzüge. Auf drei atmete er ein und hustete, während Sebastian kurz und ruckartig seine Hände schräg unter seine Brust
presste, um den Hustenstoß zu verstärken. Sie wiederholten den Vorgang zweimal, bis Noah sein Zeichen gab; den schalen Geschmack auf der Zunge, den der Gedanke hinterließ, dass er
nicht einmal ohne Hilfe husten konnte.
    Sebastian nahm ihm das Taschentuch aus der Hand und sammelte alle weiteren auf, die sich um den Mülleimer herum angehäuft hatten. Dann griff er nach einem ihrer Keilkissen und begann,
Noahs Glieder in die zweite Drainagelage zu arrangieren. Dieser ließ sich schräg auf seine Seite legen, sein Kopf noch immer in Tieflage, ein weiches Kissen zwischen seinen Knien, damit
die Knochen nicht aufeinander drückten.
    »Zurück in fünf«, murmelte Sebastian, nahm den Topf mit dem frisch aufgebrühten und noch dampfenden Pfefferminzsud hoch und trug ihn zurück in die Küche.
Sebastian glaubte anscheinend wirklich, dass sie mit Inhalationen und Klopfmassagen eine weitere Lungenentzündung verhindern konnten.
    Im vorletzten Herbst hatte Sebastian ihn mit einer schweren Infektion ins Krankenhaus bringen müssen. So schwer, dass er wegen Sauerstoffunterversorgung für zwei Wochen im Koma gelegen
hatte. Weitere zwei Wochen war er künstlich beatmet worden, hatte täglich mehrere Male eine Schwester die Sekrete aus seiner Lunge absaugen lassen müssen – eine
äußert unangenehme und schmerzhafte Prozedur, während der Noah jedes Mal mit verschwitztem Gesicht in sein Kissen geweint hatte.
    Darauf konnten sie verzichten. Zumal Sebastian zu Recht immer wieder betonte, dass die Pflege in einem nicht auf Rückenmarksverletzungen spezialisierten Krankenhaus über ein
Standardmaß nicht hinausging.
    Ein Bekannter aus der Reha war einmal wegen eines Niereninfekts ins Krankenhaus eingewiesen und mit einem Druckgeschwür entlassen worden, das sich bis auf den Knochen runtergefressen hatte.
In einer Spezialklinik war er dann wegen des Dekubitus behandelt worden. Bis zu seiner Entlassung hatte es vier Monate gedauert.
    Tatsächlich war das eine von Sebastians größten Ängsten, und er war stolz darauf, dass er es in sieben Jahren kein einziges Mal dazu hatte kommen lassen.
    Sebastians Mutter würde Noah also zu gern in einem solchen Krankenhaus sehen. War er wütend? Nicht mehr als gewöhnlich, aber er wusste, dass Sebastian es persönlich nahm,
wenn jemand abfällig über ihn redete, so wie er es als sein persönliches Versagen empfand, wenn es Noah schlecht ging. Das war der Trumpf, das kleine bisschen Macht, mit dem Noah
sich trösten konnte, auch wenn er sich fragte, wann Sebastian endlich den Mut finden würde, nicht mehr ans Telefon zu gehen, wenn das Display ihre Nummer anzeigte. Wann die Antwort
endlich eindeutig
Noah
heißen würde.
    2
    Für Sebastians Mutter war die Freundschaft ihres Sohnes zu Noah anfangs nur eine Trotzreaktion auf den Umzug der Familie in die Kleinstadt gewesen. Als sich herausstellte, dass ihre
Freundschaft immer inniger wurde, war sie hin- und hergerissen, Noah als Störfaktor ihres Familienbildes zu betrachten oder aber als prestigeträchtiges Sozialprojekt, über das sie
bei Tupperpartys und Kaffeekränzchen seufzen konnte, denn Noahs Vater war Möbelpacker und kein Ingenieur, wie ihr eigener Mann, und es war nur zu offensichtlich, dass Noah unter den
ausschreitenden Streitigkeiten zwischen seinen Eltern und seinem Bruder litt.
    Als sie nach ihrem Schulabschluss herausgefunden hatte, dass Noah und Sebastian bereits seit drei Jahren miteinander schliefen, sah sie Noah als Bedrohung der körperlichen und geistigen
Gesundheit ihres Sohnes. Weil sie aber immer geahnt hatte, dass sie Sebastian verlieren würde, spräche sie sich offen gegen Noah aus, duldete sie ihn mit der ihr eigenen distanzierten und
herablassenden Freundlichkeit, mit der sie auch Kassiererinnen im Supermarkt behandelte.
    Sebastians
experimentelle Phase
wollte jedoch nicht enden, auch wenn sie jeden Tag darauf wartete,
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