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Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Titel: Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
Autoren: Raik Thorstad , Jannis Plastargias , C. Dewi , Gerry Stratmann
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innerhalb des weiteren Familienkreises stand und fiel mit der Meinung von Sebastians Mutter, und die wollte sich nicht für Noah erwärmen lassen, nicht aus Antipathie, sondern
aus Prinzip.
    Es schmerzte ihn, dass Sebastian es dennoch nicht in Betracht zog, sich so radikal für Noah zu entscheiden, wie er sich für Sebastian entschieden hatte. Sebastian, der resolute Manager
ihres Lebens, schaffte es in diesem Fall nicht, sie aus der Grauzone herauszuholen, weil er zu viel Verständnis für die Sorgen seiner Mutter aufbrachte, weil er zu sehr alten Erinnerungen
nachhing und weil es nicht seine Art war, einen ernsthaften Streit zu riskieren oder sich vollends von jemandem abzuwenden.
    Noah kannte seinen Platz, dennoch hatte er sich in den letzten Monaten immer öfter danach gesehnt, eine Bestätigung seines Status’ aus Sebastians Mund zu hören. Seit der
Hochzeit jedoch hatte er nicht mehr darauf gedrängt, aus Angst vor der Antwort.
     
    Es hatte eine Zeit gegeben, in der Sebastian für ihn eingestanden war. Über Sebastians Instinkt, Noah in Schutz zu nehmen, hatten sie zueinandergefunden. Das war der Fixpunkt in Noahs
Leben: Sebastians Bedürfnis, ihn für sich einzunehmen, in Besitz zu nehmen, einen Alleinanspruch auf Noah geltend zu machen. Es war ein einfacher Tausch. Sicherheit gegen Bewunderung,
Führung gegen Hingabe, Schutz gegen Anerkennung. Noah wurde zu Sebastians wertvollstem Besitz und damit zum Zentrum seiner Aufmerksamkeit und Fürsorge. Im Gegenzug durfte Sebastian von
Noahs innigstem Vertrauen zehren, von dem Gefühl gebraucht zu werden und für Noahs Wohlergehen unabkömmlich zu sein.
    Noah wusste, dass er erwachsen und mündig war, und manchmal erschreckte es ihn, dass er seine Selbstbestimmung so leichtfertig und willig abgab. Aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, war
er dankbar dafür, die Verantwortung für sich selbst in fremde Hände legen zu können, und tatsächlich schmeichelte es ihm, dass Sebastian um jeden Preis eine exklusive
Eigentümerschaft über ihn forderte.
    Zuletzt war es seine Wahl gewesen, sich Sebastian unterzuordnen und blieb an jedem neuen Tag seine Wahl, welche er jederzeit widerrufen konnte. Das war der Kernpunkt ihres Spiels. Das, was auf
dem Dachboden oder in den Clubs zwischen ihnen passierte, drehte sich um die Macht, die Noah Sebastian über sich gab und um die Verantwortung, die Sebastian damit für sie beide trug.
    Noah hatte sich Sebastian überantwortet und war in seinem Vertrauen darauf, dass dieser Dinge überblickte, die er nicht sehen konnte, nie enttäuscht worden.
    Nachdem Sebastian ihn endgültig von seiner Familie fortgebracht hatte, hatten sie sich darauf geeinigt, dass er Disziplinarmaßnahmen verhängen durfte, wann immer Noah im Umgang
mit sich selbst nicht genug Rücksicht an den Tag legte.
    Erst später hatten sie erkannt, dass ihre Art Probleme zu handhaben einen Namen trug, den die meisten Leute mit finsteren Kellern, Gummimasken und Reitpeitschen assoziierten, wenngleich
Sebastian einen gemütlich ausgeleuchteten Dachboden für sie eingerichtet hatte und Noah Gummimasken verabscheute. Und auch wenn sich Sebastian manchmal tatsächlich fragte, mit
welchem Recht er Noah in eine Zimmerecke stellte, um ihn darüber nachdenken zu lassen, warum er nicht schlecht über sich selbst reden sollte, hatte es Noah geholfen. Die Distanz zu seiner
Familie, Sebastians stetige Unterstützung und Achtsamkeit hatte Noah geholfen, zu erkennen, wie er zu sich selbst stand.
    Dann war Noah verletzt worden. Der Aufprall auf dem Asphalt, nachdem sein Motorrad in voller Fahrt von einem Wagen erfasst worden war, hatte seinen sechsten Halswirbel gebrochen, und die
Hilflosigkeit, die er für den Zeitraum einer Szene genießen konnte, in einen unveränderlichen Dauerzustand verwandelt.
    3
    Noahs Augen blickten ziellos durch den Raum und kamen auf den Hochzeitsbildern zu ruhen.
    Auf den drei Wandregalen über dem Fernseher, auf denen sie ihre Bücher aufbewahrten, reihten sich ihre Familienfotos. Das obere Regal war für Sebastians Familie reserviert, das
untere – auf dessen Augenhöhe angebracht – für Noahs.
    Noah konnte sich die Bilder mittlerweile ansehen, ohne traurig darüber zu werden, dass Sebastians Regal überquoll mit Fotos von Eltern, Geschwistern, seinem neugeborenen Neffen,
Cousins, Cousinen, Großeltern und -tanten, über Jahre hinweg gesammelte Andenken an heitere Familienfeiern – trotz aller unausgesprochenen Befangenheit Noah
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