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Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Titel: Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
Autoren: Raik Thorstad , Jannis Plastargias , C. Dewi , Gerry Stratmann
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gegenüber -,
während es von seiner Familie nur ein Bild gab, irgendwann aufgenommen von einem Fotografen zur Weihnachtszeit kurz nach seinem zwölften Geburtstag. Ein zusätzliches Bild gab es von
seinem älteren Bruder, der den Kontakt abgebrochen hatte, nachdem Noah seine Drohung wahr gemacht und mit Sebastian in die Stadt gezogen war.
    Noah wusste selbst nicht recht, warum er die Bilder hingestellt hatte. Vielleicht aus Anstand. Vielleicht aus den ihm vom Gürtel seines Vaters eingebläuten Schuldgefühlen.
Vielleicht um sich in Erinnerung zu halten, dass, selbst ohne in der Lage zu sein, allein eine Bierdose zu öffnen oder sich das Hemd zu zuknöpfen, er sich nie wieder so hilflos und
ausgeliefert fühlen würde wie in seinen Kindheitsjahren im Haus seiner Eltern.
    Womöglich aus einem Racheempfinden heraus standen seine konservativen Eltern auf seiner Souvenir-Arena Master Damian und seinem Sub in Montur gegenüber; Damian in einem seiner
klassischen schwarzen Rollkragenshirts, sein Junge mit nichts am Leib als seinem Halsband, ein paar schweren Stiefeln und einem weißen Hemd, das gerade lang genug war, um seinen Hintern zu
bedecken – zumindest so lange er aufrecht stand.
    Neben zahlreichen weiteren Aufnahmen der anderen Jungs aus dem Club und Bildern seiner hiesigen Freunde gab es auch eins, das ihn und seinen früheren Partner vor ihren
Polizei-Motorrädern zeigte. Dieser kam ihn weiterhin besuchen, als einer der wenigen von ihrer Wache, die sich nach dem Unfall – und vor allem nach ihrem unfreiwilligen, aber nicht
mehr länger zu umgehenden Outing – nicht von ihnen abgewandt hatte.
    Das neueste Bild auf Sebastians Regal war ein Foto von seiner Schwester Jeanette und ihrem Mann vor dem Altar. Der Fotograf hatte eine ganze Serie der Zeremonie geschossen, sie hatten eine CD
mit allen Bildern erhalten. Er hatte sich bemüht, auch die Gäste im Hintergrund abzubilden, dennoch war auf keinem der Trauungsbilder Noah zu sehen.
    Er hatte am äußeren Rand neben den Sitzbänken sitzen müssen, da er den Mittelgang für die Braut nicht versperren durfte. Die Außenseiten der Bänke waren von
Säulen gesäumt, und direkt hinter eine solche war Noahs Stuhl verbannt worden. Auf den Trauungsbildern war von ihm nicht mehr zu sehen als eine Schulter oder ein Ohr mit Haaransatz. Es
wäre gar nicht aufgefallen, wäre er zu Hause geblieben. Wo immer er war, er war überflüssig.
    4
    Sebastian stand plötzlich in der Tür. »Wie spät?«
    »Lang genug«, antwortete Noah.
    Für jede Position waren fünf Minuten vorgesehen, zwölf Positionen brauchte es, um die verschiedenen Segmente der Lunge zu belüften. Für einen Durchgang – mit
all dem zwischenzeitlichen Abhusten, der vorbereitenden Inhalation, der Massage und den danach folgenden Dehnungsübungen – rechneten sie zwei Stunden. Das Ganze sollte dreimal
täglich absolviert werden, und Sebastian ließ sich nicht davon überzeugen, dass es die Mühe nicht wert war.
    »Wenn du fahren willst, kannst du fahren. Ich weiß, dass du den Kleinen sehen möchtest.«
    Noah versuchte, sachlich zu klingen. Sebastian war vor einem halben Jahr Onkel geworden und bekam jedes Mal feuchte Augen, wenn sein Bruder ihm das Bündel in den Arm legte. Er wollte ihm
diese Freude nicht auch noch nehmen. Er wusste, dass Sebastian immer gern eigene Kinder gehabt hätte, nach dem Unfall jedoch – und vor allem nach einer hässlichen Bemerkung
seitens eines Arbeitskollegen – wurde das Thema nie wieder angesprochen. Noah erinnerte sich gut an das angetrunkene Lachen und den Seitenblick auf seine fast nutzlosen Hände.
    Kinder, Sebastian? Wechselst du zu Hause nicht schon genug Windeln?
    Es schmerzte, weil es näher an der Wahrheit lag, als sie sich eingestehen wollten.
    Sebastian schüttelte dennoch den Kopf. »Ich will nicht. Den Krümel würde ich natürlich gern sehen, aber nicht wenn sie dich so ansieht. Und die Genugtuung, ohne dich zu
kommen, gönne ich ihr nicht.«
    Sebastian strich Noah über das kurze Haar, ließ seinen Handrücken über seine Stirn fahren, aber Noah schoss ein Gedanke durch den Kopf.
Nicht überflüssig
sondern Mittel zum Zweck
.
    »Ich hab keins«, murmelte er, ließ seinen Blick missmutig sinken.
    Sebastians Unterlippe kräuselte sich in besserem Wissen. Er griff mit der Linken nach dem Thermometer, das auf dem Couchtisch lag, mit der Rechten nach Noahs Ohr, der seinen Kopf tiefer ins
Kissen drückte.
    »Ich hab keins«, wiederholte er,
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