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Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman

Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman

Titel: Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach
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gewachsen. Und meine Liebe zum Wolfsgeheul wurde größer. Von diesem kleinen Loch aus wird mein Heulen für den Rest der Nacht zu hören sein, und mir ist klar, dass keiner zuhören wird. Diesem kleinen Aufnahmegerät vertraue ich mein anhaltendes Geheul an. Es abzuhören wird mich trösten. Auuuuuuu …
    Montag, 5 . August, 22.49 Uhr
    Waffenstillstand zwischen Parviz und der Polizei! Die Streitereien wegen der Tauben auf der Piazza Santa Maria Maggiore haben sich ganz schön hingezogen. Leicht war es nicht, ihn dazu zu bewegen, seine Tauben nicht mehr zu füttern. Parviz liebt die Tauben, weil er glaubt, dass eines Tages eine Taube auf seiner Schulter landen und ihm einen Brief von seiner Frau und den Kindern bringen wird. Er wartet umso mehr auf die verheißene Botschaft, seit er die Geschichte über das Wunder gehört hat, das im Jahr 356 bei Santa Maria Maggiore geschehen ist, als es nämlich im August schneite. Während Parviz also auf all das wartet, hat die Stadt beschlossen, die Zahl der Tauben auf den großen Plätzen einzudämmen – mit der Begründung, dass es zu viele seien und sie auf die Bürger kacken würden, vor allem auf die Touristen. So beschloss man, das Füttern der Tauben auf öffentlichen Plätzen zu verbieten. Die Stadt ging sogar noch weiter und bietet jetzt kostenloses Vogelfutter an, das mit empfängnisverhütender Chemie versetzt ist. Kommissar Bettarini schlug ich vor, Parviz mit der Aufgabe zu betrauen, die Tauben mit dem städtischen Vogelfutter zu füttern. Nach langem Zögern war die Polizei einverstanden. Ich hatte keinerlei Schwierigkeiten, auch Parviz davon zu überzeugen, aber selbstverständlich sagte ich ihm nichts über die Beschaffenheit des städtischen Futters. Manchmal ist es besser, die Wahrheit einfach zu ignorieren. So bin ich zum Beispiel auch damit einverstanden, wenn Ärzte ihren Patienten die wahre Natur ihrer Krankheit verschweigen. Von wieviel Dummheit muss ein Arzt getrieben sein, der seinem Patienten sagt, »du wirst in zwei Monaten sterben«? Seelische Krüppel sind das! Sollen sie die Leute doch noch zwei Monate ohne die Bürde ihres Todesdatums leben lassen! Was ist denn die Wahrheit – ein Mittel gegen unsere Leiden oder ein Gift, das langsam tötet? Die Antwort finde ich vielleicht, wenn ich mit den Wölfen heule. Auuuuuuuuuu …
    Samstag, 25 . Februar, 23.07 Uhr
    Es ist mir nicht gelungen, Parviz davon zu überzeugen, dass Johan Van Marten kein Spion ist, sondern ein holländischer Student der Filmhochschule, der davon träumt, dem Neorealismus zu neuen Ehren zu verhelfen; vermutlich will er dafür auch solche Leute wie De Sica oder Rossellini wieder von den Toten erwecken. Johan – beziehungsweise der Blonde, wie ihn die Hausbewohner nennen – bemüht sich, Informationen zu sammeln über das Leben von Parviz, Sandro, Antonio Marini, Elisabetta Fabiani, von Iqbal dem Bengalen, der Hausmeisterin Benedetta und all den anderen. Johan träumt davon, an der Piazza Vittorio einen Schwarzweißfilm zu drehen und ihre Geschichten zu erzählen. Er hat mich mächtig gedrängt, ihm dabei zu helfen, Parviz, Benedetta, Iqbal, Maria Cristina und die übrigen Bewohner davon zu überzeugen, dass sie im Film mitspielen. Er sagt, Parviz sei ein talentierter Schauspieler, er habe bemerkenswerte künstlerische Fähigkeiten. Man brauche nur zu sehen, wie er spontan anfangen könne zu weinen und wie er die Tauben am Brunnen von Santa Maria Maggiore füttere, um zu erkennen, wie viel er mit dem phantastischen Anthony Quinn gemein habe. Dann hielt er sich lange mit dem Namen auf. Er schlug vor, ihm einen Namen zu geben, der eines neuen Sterns am Kinohimmel würdig sei: Parvi Bravo anstelle von Parviz Mansoor Samadi.

Die Wahrheit der Benedetta Esposito
    Ich bin aus Neapel, das sage ich laut und ohne den Kopf einzuziehen. Und überhaupt, was sollte ich mich deswegen schämen? Ist etwa der Totò nicht in Neapel geboren? Er ist der größte Schauspieler der Welt. Fünf Oscars hat der gewonnen. Ich bin eine große Verehrerin von Totò. Aber auch nicht einen seiner Filme verpasse ich und ich kenne sie alle auswendig. Er ist der Einzige, der mich auch dann zum Lachen bringt, wenn ich traurig bin. Ich kann gar nicht anders, ich muss einfach lachen, wenn ich die Szene wieder sehe, wo er versucht, einem dummen Touristen den Trevibrunnen zu verkaufen. Erinnern Sie sich an diesen tollen Film?
    Ich heiße Benedetta, aber viele nennen mich lieber La Napoletana. Ich hab da nichts dagegen.
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