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Krabat (German Edition)

Krabat (German Edition)

Titel: Krabat (German Edition)
Autoren: Otfried Preußler
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bleich im Gesicht war, das hatte sich in der Zwischenzeit längst gegeben.
    »Tritt näher, Krabat!«
    Der Junge trat vor, an die Schwelle der Schwarzen Kammer. Er war nicht mehr müde, er spürte auch keine Benommenheit mehr im Kopf und kein Herzklopfen.
    Eine Weile betrachtete ihn der Meister, dann hob er die Linke und wandte sich den Gesellen zu, die im Flur standen. »Husch, auf die Stange!«
    Mit Krächzen und Flügelschlagen strichen elf Raben an Krabat vorbei, durch die Kammertür. Als er sich umschaute, waren die Müllerburschen verschwunden. Die Raben ließen sich in der hinteren linken Ecke des Raumes auf einer Stange nieder und blickten ihn an.
    Der Meister erhob sich, sein Schatten fiel auf den Jungen. »Seit einem Vierteljahr«, sagte er, »bist du nun auf der Mühle, Krabat. Die Probezeit ist bestanden, du bist kein gewöhnlicher Lehrjunge mehr – du sollst fortan mein Schüler sein.«
    Damit trat er auf Krabat zu und berührte ihn mit der linken Hand an der linken Schulter. Ein Schauder durchrieselte Krabat, er spürte, wie er zu schrumpfen anfing: Sein Leib wurde klein und kleiner, es wuchsen ihm Rabenfedern, ein Schnabel und Krallen. Zu Füßen des Meisters hockte er auf der Schwelle, er wagte nicht aufzublicken.
    Der Müller besah ihn sich eine Zeit lang, dann klatschte er in die Hände, rief: »Husch!« Krabat, der Rabe Krabat, breitete folgsam die Schwingen aus und erhob sich zum Flug. Ungelenk flatternd durchmaß er die Kammer, umschwirrte den Tisch, streifte Buch und Totenschädel. Dann ließ er sich bei den anderen Raben nieder und krallte sich an der Stange fest.
    Der Meister belehrte ihn: »Du musst wissen, Krabat, dass du in einer Schwarzen Schule bist. Man lernt hier nicht Lesen und Schreiben und Rechnen – hier lernt man die Kunst der Künste. Das Buch, das da angekettet vor mir auf dem Tisch liegt, ist der Koraktor, der Höllenzwang. Wie du siehst, hat es schwarze Seiten, die Schrift ist weiß. Es enthält alle Zaubersprüche der Welt. Ich allein darf sie lesen, weil ich der Meister bin. Euch aber, dir und den anderen Schülern, ist es verboten, darin zu lesen, das merke dir! Und versuche nicht, mich zu hintergehen, das würde dir schlecht bekommen! Du hast mich verstanden, Krabat?«
    »Verstanden«, krächzte der Junge, erstaunt, dass er sprechen konnte: mit heiserer Stimme zwar, aber deutlich und ohne dass es ihn im Geringsten anstrengte.
     
    Krabat hatte von solchen Schwarzen Schulen schon munkeln hören: Es gab, wie es hieß, deren mehrere in der Lausitz; aber er hatte das immer für Schauermärlein gehalten, wie man sie in den Rockenstuben erzählt, beim Spinnen und Federnschleißen. Und nun war er selber in eine von diesen Schulen geraten, die zwar als Mühle galt; doch es schien sich, zumindest im näheren Umkreis, herumgesprochen zu haben, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zuging: was sonst hätte wohl die Leute vom Koselbruch ferngehalten?
    Dem Jungen blieb keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Der Meister hatte sich wieder hinter den Tisch gesetzt und fing an, einen Abschnitt aus dem Koraktor vorzulesen: langsam, in singendem Tonfall, wobei er sich steif in den Hüften vor und zurück wiegte, vor und zurück.
    »Dies ist die Kunst, einen Brunnen versiegen zu machen, dass er von einem Tag auf den andern kein Wasser gibt«, las er vor. »Zum Ersten versieh dich mit vier auf dem Ofen gedörrten Pflöcken von Birkenholz, dritthalb Spannen lang jeder, gut einen Daumen dick und am unteren Ende im Dreikant zugespitzt; zum Andern verpflocke den Brunnen des Nachts zwischen zwölf und eins mit besagten Hölzern, indem du ein jegliches sieben Schuh von der Mitte des Brunnens entfernt in den Boden treibst, jedes in einer anderen Himmelsrichtung, beginnend bei Mitternacht und im Abend endend; zum Dritten und Letzten, nachdem du dies alles schweigend verrichtet hast, sollst du den Brunnen dreimal umschreiten und sprechen, was hier geschrieben steht  … «
    Nun folgte, vom Meister verlesen, der Zauberspruch: eine Folge von unverständlichen Wörtern, wohllautend alle und dennoch mit einem dunklen, Unheil beschwörenden Unterton, der dem Jungen noch lange im Ohr blieb – selbst dann, als der Meister nach kurzem Verweilen von vorn begann.
    »Dies ist die Kunst, einen Brunnen versiegen zu machen  … «
    Dreimal im Ganzen verlas er den Text und die Zauberformel, immer im gleichen Singsang, wobei er sich in den Hüften vor- und zurückwiegte. Nach dem dritten Mal
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