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Krabat (German Edition)

Krabat (German Edition)

Titel: Krabat (German Edition)
Autoren: Otfried Preußler
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einen Augenblick!« Tonda holte zwei Wolldecken aus dem Schuppen. Eine davon gab er Krabat, dann schlug er den Weg nach Schwarzkollm ein, am Mühlenweiher vorbei, durch den vorderen Koselbruch.
    Als sie den Wald betraten, brach vollends die Nacht herein. Krabat bemühte sich, dicht hinter Tonda zu bleiben. Ihm fiel ein, dass er hier schon einmal gegangen war, in entgegengesetzter Richtung, einsam zur Winterszeit. Und das sollte kaum weiter zurückliegen als ein Vierteljahr?
    Nicht zu fassen!
    »Schwarzkollm«, sagte Tonda nach einer Weile.
    Sie sahen die Lichter des Dorfes zwischen den Stämmen aufschimmern, hielten sich aber von jetzt an nach rechts, auf die freie Heide hinaus. Der Pfad war nun sandig und trocken, er führte an einzelnen dürftigen Bäumen vorbei durch Gebüsch und Kusseln. Der Himmel hier draußen war hoch und weit, voller Sternenglanz.
    »Wohin gehen wir?«, wollte Krabat wissen.
    »Zum Mordkreuz«, sagte der Altgesell.
    Wenig später gewahrten sie in der Heide den Widerschein eines Feuers, das auf dem Grund einer Sandkuhle brannte. Wer mochte es wohl entfacht haben?
    »Hirten«, sagte sich Krabat, »sind das gewiss nicht, so früh im Jahr; dann schon eher Zigeuner oder ein wandernder Rastelbinder mit seinem Kram.«
    Tonda war stehen geblieben.
    »Sie sind uns zuvorgekommen beim Mordkreuz – lass uns zu Bäumels Tod gehen.«
    Ohne ein Wort der Erklärung machte er kehrt. Sie mussten den Pfad, auf dem sie gekommen waren, zurückstapfen bis zum Wald; dort bogen sie dann zur Rechten auf einen Feldweg ein, der führte sie an Schwarzkollm vorbei und mündete jenseits des Ortes auf eine Fahrstraße, die sich am gegenüberliegenden Waldrand dahinzog.
    »Gleich sind wir da«, meinte Tonda.
    Der Mond war inzwischen aufgegangen und leuchtete ihnen.
    Sie folgten der Straße bis an die nächste Biegung, wo sich im Schatten der Föhren ein mannshohes Holzkreuz fand, stark verwittert schon, ohne Inschrift und Schmuck.
    »Bäumels Tod«, sagte Tonda. »Vor vielen Jahren ist hier ein Mann namens Bäumel ums Leben gekommen: beim Holzfällen, wie man sagt – genau weiß das heute niemand mehr.«
    »Und wir?«, fragte Krabat. »Weshalb sind wir hier?«
    »Weil der Meister es so verlangt«, sagte Tonda. »Wir müssen – wie alle – die Osternacht unter freiem Himmel verbringen, je zwei miteinander an einer Stelle, wo jemand gewaltsam zu Tode gekommen ist.«
    »Und was nun?«, fragte Krabat weiter.
    »Wir zünden ein Feuer an«, sagte Tonda. »Dann wachen wir unter dem Kreuz, bis der Morgen graut – und bei Anbruch des Tages werden wir uns mit dem Mal versehen: einer den anderen.«
    Sie hielten das Feuer mit Absicht niedrig, um in Schwarzkollm kein Aufsehen zu erregen. Jeder in seine Decke eingehüllt, saßen sie unter dem Holzkreuz und wachten. Ab und zu fragte Tonda den Jungen, ob er nicht friere, oder er hieß ihn ein paar von den dürren Ästen ins Feuer schieben, die sie am Waldrand gesammelt hatten. Später verstummte er mehr und mehr; da versuchte es Krabat von sich aus mit einem Gespräch.
    »Du – Tonda?«
    »Was gibt’s?«
    »Ist das immer so in der Schwarzen Schule? Der Meister liest einen Abschnitt aus dem Koraktor vor und dann heißt es: Sieh zu, wie du ihn im Kopf behältst  … «
    »Ja«, sagte Tonda.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass man auf die Art zaubern lernt.«
    »Doch«, sagte Tonda.
    »Ob ich den Meister erzürnt habe, weil ich unaufmerksam gewesen bin?«
    »Nein«, sagte Tonda.
    »Ich will mich in Zukunft zusammennehmen und aufpassen, dass ich mir alles merke. Glaubst du, ich schaffe es?«
    »Doch«, sagte Tonda.
    Er schien nicht besonders darauf erpicht zu sein, sich mit Krabat zu unterhalten. Den Rücken gegen das Kreuz gelehnt, saß er aufrecht da, reglos, den Blick in die Ferne gerichtet, über das Dorf hinaus auf die mondhelle Heide. Von jetzt an sagte er überhaupt nichts mehr. Als Krabat ihn leise beim Namen rief, gab er ihm keine Antwort: Ein Toter hätte nicht tiefer schweigen, nicht starrer blicken können.
    Mit der Zeit wurde Tondas Verhalten dem Jungen unheimlich. Er entsann sich, davon gehört zu haben, dass manche Leute sich auf die Kunst verstanden, »aus sich hinauszugehen«, indem sie aus ihrem Körper ausschlüpften wie ein Schmetterling aus der Puppe und ihn als leere Hülle zurückließen, während ihr wahres Ich seiner Wege ging, unsichtbar, auf geheimen Pfaden einem geheimen Ziel nach. War Tonda aus sich hinausgegangen? Konnte es sein, dass er
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