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Krabat (German Edition)

Krabat (German Edition)

Titel: Krabat (German Edition)
Autoren: Otfried Preußler
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hier am Feuer saß und in Wirklichkeit ganz woanders war?
    »Ich muss wach bleiben«, nahm sich Krabat vor. Er stützte sich bald auf den rechten Ellbogen, bald auf den linken; er sorgte dafür, dass das Feuer gleichmäßig weiterbrannte; er machte sich an den Ästen zu schaffen, brach handliche Stücke zurecht und schichtete sie zu kunstvollen kleinen Stapeln auf. So verrannen die Stunden. Die Sterne zogen am Himmel weiter, die Schatten der Häuser und Bäume wanderten unterm Mond hin und wandelten langsam ihre Gestalt dabei.
    Plötzlich, so schien es, kehrte das Leben in Tonda zurück. Sich zu Krabat herüberneigend, zeigte er in die Runde.
    »Die Glocken  … Hörst du?«
    Seit dem Gründonnerstag waren die Glocken verstummt gewesen; jetzt, um die Mitte der Osternacht, fingen sie allerorten wieder zu tönen an. Von den benachbarten Kirchdörfern klang ihr Geläut nach Schwarzkollm herüber: gedämpft zwar, ein dunkles Gebrause nur, das Gesumm eines Bienenschwarmes – und doch war die Heide und waren das Dorf und die Felder und Wiesen erfüllt davon bis zum fernsten Hügelrand.
    Fast zugleich mit den fernen Glocken hob in Schwarzkollm eine Mädchenstimme zu singen an, jubelnd sang sie ein altes Osterlied. Krabat kannte es, hatte es selber als Kind in der Kirche mitgesungen; aber es war ihm, als hörte er’s heute zum ersten Mal.
     
»Erstanden ist
Der heilig Christ,
Halleluja,
Halleluja!«
     
    Nun fiel eine Gruppe von zwölf oder fünfzehn weiteren Mädchen ein, die sangen die Strophe im Chor zu Ende. Dann stimmte das eine Mädchen die nächste an – und so sangen sie weiter, das eine abwechselnd mit den anderen, Lied um Lied.
    Krabat kannte das von daheim. In der Osternacht pflegten die Mädchen singend die Dorfstraße auf und ab zu ziehen, von Mitternacht bis zum Morgengrauen. Sie gingen zu dreien und vieren nebeneinander in dichten Reihen und eine von ihnen, das wusste er, war die Kantorka: sie, mit der schönsten und reinsten Stimme von allen, ging in der ersten Reihe und durfte vorsingen – sie allein.
    Die Glocken tönten von ferne, die Mädchen sangen und Krabat, am Feuer unter dem Holzkreuz sitzend, traute sich kaum zu atmen. Er lauschte nur – lauschte zum Dorf hinüber und war wie verzaubert.
    Tonda schob einen Ast in die Glut.
    »Ich hatte ein Mädchen lieb«, sagte er. »Worschula war ihr Name. Nun liegt sie seit einem halben Jahr auf dem Friedhof von Seidewinkel: Ich hab ihr kein Glück gebracht. – Du musst wissen, dass keiner von uns auf der Mühle den Mädchen Glück bringt. Ich weiß nicht, woran das liegt, und ich will dir auch keine Angst machen. Solltest du aber jemals ein Mädchen lieb haben, Krabat, dann lass dir’s nicht anmerken. Sorge dafür, dass der Meister es nicht erfährt – und auch Lyschko nicht, der ihm alles zuträgt.«
    »Haben der Meister und Lyschko damit zu tun, dass dein Mädchen gestorben ist?«, fragte Krabat.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Tonda. »Ich weiß nur, dass Worschula noch am Leben wäre, hätte ich ihren Namen für mich behalten. Ich habe das erst erfahren, als es zu spät war. Du aber, Krabat – du weißt es nun und du weißt es rechtzeitig: Gib, wenn du je ein Mädchen hast, ihren Namen nicht preis auf der Mühle! Um nichts auf der Welt lass ihn dir entlocken. Von niemand, hörst du! Im Wachen nicht und im Schlaf nicht – damit du euch nicht ins Unglück bringst.«
    »Da sei unbesorgt«, sagte Krabat. »Ich mache mir nichts aus Mädchen und kann mir nicht vorstellen, wie sich das ändern sollte.«
     
    Bei Tagesanbruch verstummten die Glocken und der Gesang im Dorf. Tonda schnitt mit dem Messer zwei Holzspäne aus dem Kreuz, die steckten sie in die Glut und ließen sie an den Enden ankohlen.
    »Was ein Drudenfuß ist«, fragte Tonda, »das weißt du wohl?«
    »Nein«, sagte Krabat.
    »Sieh her!«
    Mit der Fingerspitze zeichnete Tonda eine Figur in den Sand: einen Stern mit fünf Zacken, gebildet aus ebenso vielen geraden Linien, deren jede sich mit zwei anderen überschnitt, sodass sich das Ganze in einem Zug zeichnen ließ.
    »Dies ist das Mal«, sagte Tonda. »Versuche es nachzuziehen!«
    »Das kann nicht so schwer sein«, meinte der Junge. »Du hast es erst so gemacht  … und dann so  … und dann so  … «
    Beim dritten Mal glückte es Krabat, den Drudenfuß fehlerlos in den Sand zu zeichnen.
    »Gut«, sagte Tonda, wobei er ihm einen der beiden Holzspäne in die Hand drückte. »Knie dich ans Feuer und zeichne mir über die
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