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Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Titel: Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Autoren: Petros Markaris
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Möwen kreist über ihr. Die Wolken sind nach wie vor schwer und die offene See grob und unruhig.
      »Wir sind da«, meint der Chauffeur zu Murat und deutet auf einen Hügel vor uns.
      Wir halten darauf zu, und ich kann nun auf seiner Kuppe die Stadtfestung erkennen. Der Streifenwagen nähert sich der Festung, doch dann biegt er in südöstlicher Richtung ab und fährt eine weitere Anhöhe hoch. Es ist eine Gegend mit älteren zwei- und dreistöckigen Wohnbauten. Sie müssen wohl unter Denkmalschutz stehen, denn alle Häuser sind gepflegt, und nirgendwo leuchtet uns das vulgäre Ziegelrot entgegen.
      Der Streifenwagen bleibt in einer Kurve stehen, und der Chauffeur deutet ein Stück den Hügel hoch auf ein zweistöckiges Gebäude. Wir steigen aus, um zu Fuß weiterzugehen. Der Chauffeur macht Anstalten, uns zu begleiten, doch Murat weist ihn an, im Streifenwagen zu warten.
      Das Haus ist renoviert und gut erhalten. Scheinbar werden wir erwartet, denn die Tür springt gleich beim ersten Klingeln auf. Auf der Türschwelle erscheint eine Frau an die sechzig mit Kopftuch. Murat spricht kurz mit ihr, worauf die Frau die Tür mit einem »Hos geldiniz« weit aufmacht, das sie für jeden Einzelnen von uns wiederholt.
      Der geräumige Flur ist quadratisch und mit Steinplatten ausgelegt. Am Tisch sitzt ein Mann mit weißem Haar und weißem Schnurrbart, der älter wirkt als die Frau, doch vielleicht ist er auch nur vorzeitig gealtert. Der Mann heißt uns ebenfalls willkommen, und danach unterhalten sich beide mit Murat. Da ich das Gespräch nicht unterbrechen will, bitte ich Vassiliadis zu dolmetschen.
      »Maria hat so gegen Mittag an ihre Tür geklopft«, beginnt Vassiliadis. »Als sie ihr öffneten, meinte sie, in diesem Haus sei sie geboren und ob sie es sehen könne. Sie wurde hineingelassen und begann sich umzusehen. >Wir hatten keinen Tisch im Flur<, sagte sie. >Und an der Wand hatten wir eine Konsole mit einem Spiegel darauf.< Nun war das Ehepaar überzeugt, dass es tatsächlich ihr Geburtshaus war.« Vassiliadis unterbricht, um den Worten der Frau zu lauschen. »Sie führt uns nach oben, damit wir sie sehen können«, ergänzt er.
      Die Frau führt uns über eine hölzerne Treppe in das Obergeschoss und öffnet eine der beiden Türen auf dem Flur. In dem ansonsten leeren Zimmer steht ein einzelnes Bett. Darauf liegt eine Frau mit schneeweißem Haar, vollen Lippen und einem Damenbärtchen. Sie ist auf Haut und Knochen abgemagert, und ihre Wangen sind hohl und eingefallen.
      Ich höre, wie die Türkin mit Vassiliadis und Murat spricht, doch ich kann meine Augen nicht von Maria lösen. Ihr starrer Blick ist auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. Als wir ins Zimmer getreten waren, hatte sie sich umgewandt, uns einen gleichgültigen Blick zugeworfen und danach ihre ganze Aufmerksamkeit wieder der Wand gewidmet, als sei unsere Anwesenheit völlig irrelevant für sie.
      »Maria ist in die obere Etage hochgeklettert, als müsste sie einen Berg erklimmen«, dolmetscht mir Vassiliadis die Worte der Türkin. »Sie ist sofort auf diese Tür zugegangen mit den Worten: >Das ist mein Zimmer, hier habe ich geschlafen.« Dann hat sie sich hingelegt, als sei es ihr eigenes Bett, und ist seitdem nicht mehr aufgestanden. Das Ehepaar begriff, dass sie schwer krank war, bekam es mit der Angst zu tun und rief den Arzt. Der meinte, sie müsse unverzüglich im Krankenhaus untersucht werden, doch Maria lehnte ab, und die gastfreundlichen Hausbesitzer bestanden nicht darauf. Sie haben nur die Polizei informiert, damit sie keine Unannehmlichkeiten bekommen, falls ihr etwas zustößt.«
      Vassiliadis hat zu Ende gedolmetscht, dann geht er auf Maria zu und sagt zärtlich zu ihr: »Maria, ich bin Markos. Markos Vassiliadis. Erkennst du mich?«
      »Drei Tag nur Himmel und Meer«, sagt Maria, ohne dass klar wird, ob sie Vassiliadis antwortet oder bereits in anderen Sphären schwebt. »Drei Tag nur Himmel und Meer.«
      »Die Türkin sagt, das und weitere unverständliche Dinge murmle sie ständig vor sich hin«, erklärt mir Vassiliadis. »Sie antwortet nicht, wenn man sie anspricht, sondern wiederholt sich nur.« Er macht eine kurze Pause und fügt dann hinzu: »Ich weiß, wovon sie spricht. Davon hat sie uns auch erzählt. Von ihrer Reise von Kerasounta nach Istanbul. Drei Tage lang hat sie nur den Himmel und das Meer gesehen.«
      »Maria, kein groß' Stück, die andern woll'n auch noch
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