Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Titel: Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Autoren: Petros Markaris
Vom Netzwerk:
als auch der frühmorgendlichen Gier der übrigen Reiseteilnehmer zu entgehen, die mit turmhoch beladenen Tellern vom Büfett an ihren Tisch zurückkehren.
      Doch dann überlege ich, dass ich mir dadurch einen Genuss entgehen lasse, den ich jahrelang vermisst habe. Beim Frühstück gibt es alles Mögliche, nur keine Croissants. Als ich das am ersten Tag feststellte, atmete ich erleichtert auf. So würde ich zumindest nicht an das Croissant erinnert, das ich jeden Morgen an meinem Schreibtisch esse. Dagegen gab es hier meine geliebten Sesamkringel, die mich an die guten alten Zeiten erinnerten, als wir in der Dienststelle noch ein zünftiges Gabelfrühstück zu uns nahmen, unsere Sesamkringel durchschnitten und mit einer hauchdünnen Scheibe Käse belegten. Seit dieser Entdeckung esse ich jeden Morgen genüsslich einen Käsekringel zum Frühstück. Und darauf will ich auch heute nicht verzichten. Ich lasse mich doch nicht von Adriani ins Zimmer verbannen, nur weil ich eine Schwäche für meine Tochter habe.
      Doch ich nehme nicht am selben Tisch wie sie Platz. Nicht weil ich übermäßig nachtragend bin, sondern weil es weniger auffällt, dass wir Streit haben, wenn wir beide mit anderen Leuten zusammen sind. Das ist eine stille Übereinkunft zwischen uns beiden, die automatisch in Kraft getreten ist, ohne dass wir ausdrücklich darüber reden mussten. Wenn wir zerstritten sind und uns gleichzeitig in Gesellschaft bewegen, dann versuchen wir, einander möglichst unauffällig aus dem Weg zu gehen und so zu tun, als sei nichts vorgefallen.
      So lande ich am Tisch der Familie Stefanakos, wo der Sohn, verschanzt hinter seinem überladenen Teller, gerade ausführlich das Für und Wider aller auf dem Markt erhältlichen Handys analysiert und der Vater mir stolz von seinen Studentenjahren unter der Juntazeit und seinen damaligen Zusammenstößen mit den >Polypen< berichtet. Die Alternative wäre der Tisch der Familie Petropoulos gewesen. Doch die beiden - er ehemaliger Zweigstellenleiter der Sozialversicherungsanstalt und sie pensionierte Amtsleiterin beim Finanzamt - können aufgrund ihrer beruflichen Deformation den sauertöpfischen Gesichtsausdruck auch im Rentenalter nicht ablegen.
      Im Reisebus wähle ich gerne einen Platz in den letzten Sitzreihen, was mir zuweilen gelingt, und versuche mich beim Anblick des Bosporus zu entspannen. Parallel zu unserem Bus fährt ein riesiger Tanker, daneben ein Linienschiff. Die beiden wirken wie Pat & Patachon, da das Linienschiff gerade mal hoch genug ist, um den Namenszug der Reederei an der Schiffswand des Tankers zu verdecken. Zu meiner Linken sehe ich zwei strahlend weiß getünchte Holzhäuser, das eine mit Veranden und kleinen Balkonen und das andere mit mehreren Erkern versehen. Dazwischen wurde ein Zweifamilienhaus gezwängt, das genauso gut in Athen stehen könnte. Am gegenüberliegenden, asiatischen Ufer drängeln sich die Bauten aneinander wie die Fahrgäste eines öffentlichen Busses in der Stoßzeit, und die Häuser scheinen einander tatsächlich auf die Zehen zu treten, um sich Platz zu verschaffen. An der Küstenstraße sticht ein riesiges, kasernenartiges Gebäude hervor, das ganz alleine dasteht und die Umgebung dermaßen beherrscht, dass es keiner gewagt hat, angrenzend zu bauen. Gerade als wir die erste Bosporusbrücke überqueren, ertönt die Stimme des Feldherrn a. D. an meinem Ohr.
      »Die Meerenge der Dardanellen ist wie der Engpass der Thermopylen«, erklärt er. »Wer die Dardanellen bewacht, hat sein Glück gemacht. Denken Sie an den Spartanerkönig Leonidas, der die Schlacht an den Thermopylen schlug. Er war ein Vorreiter dieser Strategie.«
      Ich entgegne nichts, da ich meinen Blick weiterhin auf den Bosporus hefte, in der Hoffnung, auch Despotopoulos möge sich dem zauberhaften Anblick hingeben. Doch leider behält das militärische Räsonieren die Oberhand.
      »Hier liegt der ganze strategische Wert der Türkei, wenn Sie meine Meinung hören wollen. Weder im Norden an der Grenze zum russischen Bären noch im Süden an der Grenze zum Islam, sondern bei den Dardanellen. Wären sie noch in unserem Besitz, dann würden die Amerikaner jetzt vor uns katzbuckeln.«
      »Gestatten Sie mir eine Frage, Herr General. Haben Sie auch Augen für etwas anderes als die geostrategischen Punkte, von denen aus wir unsere Streitkräfte aufmarschieren lassen könnten?«
      Schweigend lässt er seinen Blick auf mir ruhen. »Ich tue das, damit ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher