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Kosmologie für Fußgänger

Kosmologie für Fußgänger

Titel: Kosmologie für Fußgänger
Autoren: H Lesch
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regenschweren Wolken wuchsen also einzelne Gewässer zu einem globalen Ozean zusammen. Nach zwei Milliarden Jahren hatte sich im Sonnensystem ein einzigartiger Wasserplanet gebildet. Umgeben war diese Wasserwelt von einer dünnen Atmosphäre, die im Wesentlichen aus Kohlendioxid bestand. Der Regen allerdings wusch viel vom Kohlendioxid aus, es wurde zunehmend von den oberen Schichten des Meeres absorbiert und mittels geologischer Prozesse von kalziumund magnesiumhaltigen Karbonatgesteinen chemisch gebunden und damit der Atmosphäre entzogen.
    Die feste Erdkruste veränderte sich ebenfalls. Sie kühlte aus, wurde dicker und brach schließlich in ein riesiges Mosaik unterschiedlicher Platten auf. Und nun begann der für unsere Augen scheinbar unendlich langsame Tanz der verschiedenen Platten. Innere, heiße Strömungen, vom heißen Erdkern angetrieben, in dem Energie durch radioaktiven Zerfall freigesetzt wird, durchkneten den Erdkörper und bringen Bewegung in die Platten. Die Platten schwimmen wie Schiffe auf dem Ozean der heißen, flüssigen Erdmaterie. An manchen Stellen prallen sie aufeinander, anderswo öffnen sich Spalten, durch die frisches Magma aus den Tiefen aufsteigt und zu einer neuen Kruste erstarrt.
    Während sich die Kontinente bildeten, wurde offenbar der Ozean zum Ursprung des Lebens. Irgendwie entwickelten bestimmte kohlenstoffhaltige Moleküle immer differenziertere Formen und Strukturen, die sich irgendwann selbst reproduzieren konnten. Es wurde eine Grenze überschritten, der Planet vollzog einen Phasensprung, als zum ersten Mal Lebewesen in seinen Meeren auftauchten.
    Wir wollen nun aber wieder ins Erdinnere abtauchen und dem langen Tanz der Erdmaterie nachgehen: dem Kreislauf der Gesteine, der sich seit Jahrmilliarden vollzieht, der die Oberfläche des Planeten ständig verändert und letztlich für den Charakter unseres Heimatplaneten verantwortlich ist.

Der lebendige Felsen oder: Der Tanz der Platten
    Was wir hier eben so nebenbei in wenigen Sätzen als Kreislauf der Erdmaterie beschrieben haben, die Bewegungen von Platten, angetrieben von Konvektionsströmungen im Erdinnern, ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung, die sich über mehrere Jahrhunderte hinzog und deren – man kann sagen, geniale – Auflösung, die Plattentektonik, erst seit wenigen Jahrzehnten allgemein anerkannt wird.
    Angefangen hat der Streit um das Innere der Erde bereits vor mehr als 200 Jahren. Der Schotte James Hutton brachte 1795 das Buch Theory of Earth heraus. Durch den beginnenden Bergbau war einiges über das unmittelbar unter der Oberfläche liegende Erdreich bekannt geworden. Es wird heißer, je tiefer man kommt. Gesteinschichtungen wurden entdeckt, mit unterschiedlichen Zusammensetzungen, deren Erze und Mineralien sich direkt kommerziell nutzen ließen: Man denke nur an die verschiedenen Kohle- und Edelmetallbergwerke. Hutton hatte als Erster versucht, ein systematisches Bild der Erdgeschichte zu zeichnen. Er beschrieb die Erdoberfläche als das Resultat unendlich langsamer Vorgänge. Er vermutete eine Art Fließgleichgewicht, bestehend aus langsamer Erosion von Stein und Erde durch Wind und Wasser, allmähliche Klimaveränderungen und das gelegentliche Entstehen und Verschwinden von Bergen. Er erkannte mit großer Weitsicht in gewöhnlichen Steinen die Spuren von Äonen: »Die Ruinen einer älteren Welt sind in der jetzigen Struktur der Welt sichtbar«, schrieb er. Es gibt eine berühmte Schnittzeichnung von Hutton, auf der über der Erde eine liebliche englische Landschaft zu sehen ist, eine geschlossene, von zwei Pferden gezogene Kutsche steht an einem Zaun im Wald, während sich darunter ein Fries von unterschiedlichen Gesteinsschichten erstreckt und wiederum darunter durchgeschmolzenes, das heißt metamorphes Gestein, durcheinander und verdreht – ein Stillleben einer sich langsam, aber stetig verändernden Welt.
    Hutton hatte die englische Landschaft vor Augen, als er die Geschichte der Erde beschrieb – eine Szenerie aus sanften Hügeln und Flussauen ohne Anzeichen von Brüchen, Erdbeben oder Vulkanen. Deshalb gab es in Huttons Erdgeschichte keine Katastrophen, keine schnellen Veränderungen, sondern lediglich gemächliche, fast harmonisch anmutende Vorgänge, die sozusagen Stein auf Stein legten, die Schluchten und Gebirge langsam, fast gemütlich formten. Hutton schuf mit diesem Szenario, das auch als Uniformitarianismus bezeichnet wurde, ein Problem. Wenn er nämlich Recht
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