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Kosmologie für Fußgänger

Kosmologie für Fußgänger

Titel: Kosmologie für Fußgänger
Autoren: H Lesch
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hatte, dann konnten die von ihm beschriebenen langsamen Vorgänge nur dann die heutigen Gebirge und Kontinentformen erzeugt haben, wenn die Erde sehr, sehr alt war. »Wir finden«, schrieb er, »keine Anzeichen eines Beginns – keine Aussicht auf ein Ende.« Das mochte vielleicht mutig gewesen sein, aber auch rücksichtslos; eine unendliche Vergangenheit ist viel problematischer als eine sehr lange. Die Unendlichkeit ist eine starke und gefährliche Medizin und nicht nur eine große Zahl.
    Fast 150 Jahre lang blieb Huttons Theorie das Standardmodell der Geologie. Es änderte sich erst, als man begann, die Ursachen von Erdbeben zu erforschen, als man mehr wissen wollte über das Innere der Erde, mehr als das, was sich über die wenigen hundert Meter Erdkruste sagen ließ, durch die man in den Bergwerken in die Tiefe vordringen konnte.
    Infolge genauer Beobachtungen von Erdbebenwellen entstand Ende des 19. Jahrhunderts eine neue Wissenschaft, die Seismologie. An vielen Stellen in der Welt wurden Geräte, die Seismografen, aufgebaut, um Erdbebenwellen zu messen. Je mehr Aufzeichnungen sie zu sammeln vermochten, desto klarer wurde den Seismologen, dass die Wellen, die nach Erdbeben durch den ganzen Erdkörper liefen, mehr als nur ferne Echos weit entfernter Erschütterungen unseres Planeten waren. Sie gaben Auskunft über das Innere der Erde und ließen Einzelheiten einer Welt erkennen, die sich der direkten Beobachtung entzog. Die Aufzeichnungen eines Erdbebens beginnen mit der Wellenlinie der Primärwelle (P-Welle), einer Welle, die entlang ihres Weges Materie verdichtet und wieder auseinander zieht, ähnlich wie eine Schallwelle in der Luft. Kurze Zeit später treffen dann die Sekundärwellen (S-Wellen) beim Seismografen ein, sie verscheren das Gestein senkrecht zu ihrer Ausbreitungsrichtung. Da sie viel heftiger in ihrer Wirkung sind und viel intensiver am Gestein arbeiten, ist ihre Ausbreitungsgeschwindigkeit kleiner als die der P-Wellen. Aus der Verzögerung zwischen P- und S-Wellen lässt sich der genaue Ort des Erdbebens, das so genannte Epizentrum, markieren.
    Offenbar wurden die Erdbebenwellen auf ihrem Weg durch das Erdinnere von verschiedenen Gesteinen beeinflusst. 1902 wurde zum ersten Mal die Existenz eines Erdkerns postuliert: eines Kerns im Zentrum der Erde, der eine Art Schatten auf die dem Bebenherd gegenüberliegende Seite der Erdoberfläche wirft. Die seismischen Wellen werden ähnlich wie Lichtwellen beim Übergang von Luft in Wasser abgelenkt. Sie durchdringen den Kern nicht geradlinig, sondern werden so abgelenkt, dass sich auf der anderen Seite des Planeten ein wellenfreier Bereich bildet.
    Einige Jahre später hatten die Seismologen herausgefunden, dass sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit von P- und S-Wellen mit zunehmender Dichte des Materials erhöhte. Plötzliche Sprünge in der Ankunftszeit verschiedener Wellen bedeuteten demnach, dass die Gesteinsdichte ziemlich abrupt anstieg. Ein Teil der Wellen breitete sich innerhalb der Kruste mit normaler Geschwindigkeit aus, während der andere Teil abgelenkt wurde und sich im oberen Bereich des dichteren Gesteins mit größerer Geschwindigkeit fortpflanzte. Obwohl diese Wellen also tiefer ins Erdinnere eindrangen und bis zu einem Seismografen eine weitere Strecke zurückzulegen hatten, überholten sie die Wellen in der Kruste und erreichten die Messstation eher.
    Unzählige Erdbeben lieferten im Laufe der Jahre so viele Daten, dass sich bald ein völlig neues Modell für das Erdinnere ergab, das sich deutlich von der einförmigen Vorstellung Huttons unterschied. Unser Planet bestand demnach aus einer Reihe konzentrischer Schalen. An die dünne, feste Kruste schloss sich die weichere, plastischere Astenosphäre als Teil des ansonsten festen Erdmantels an. An diesen grenzte der große, äußere Kern aus geschmolzenem Eisen und anderen Metallen, während im tiefsten Innern der Kern aufgrund des hohen Drucks wieder verfestigt war.
    Dieses Modell veranschaulichte nicht nur die Ausbreitung der seismischen Wellen, sondern bot auch eine mögliche Erklärung für die Entstehung des irdischen Magnetfeldes. Die Rotation der Erde und die auf- und absteigenden Bewegungen des heißen, flüssigen Eisens könnten den flüssigen Erdkern in eine Art elektrischen Generator verwandeln, in einen Dynamo, der das Magnetfeld der Erde erzeugt.
    Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm man noch an, dass die Erdkruste etwa vergleichbar sei mit der Schale eines austrocknenden
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