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Kopernikus 2

Kopernikus 2

Titel: Kopernikus 2
Autoren: H. J. Alpers
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schoben sich knirschend auf der Autobahn nach Kyoto entlang, und von Monstren verseuchte Urwälder erhoben Anspruch auf die Boulevards.
    Dreihundert Millionen Jahre voller Geister füllten seinen Kopf und ergossen sich in seine Welt.
    Er ging zu seinem Sessel zurück, nahm das Foto wieder in die Hand und starrte in die Augen der Frau, in die blinden, ausgebrannten Augen, die damals verdorrt, ruiniert und nutzlos gemacht worden waren, als die Sonne gekommen war, um Nagasaki zu verschlingen.
    Im fünften Monat seiner Heimsuchung war es gewesen, als sie das erste Mal bei ihm erschienen war. Von der Drehbank aufblickend, über die er gebeugt saß, hatte er festgestellt, daß sich an der Stelle, wo eigentlich die Nordwand seines Werkzeug- und Stempelgeschäfts sein sollte, ein kleiner Garten befand. Da stand die Frau und sah jünger aus, als er sie, soweit er sich erinnern konnte, jemals im Leben gesehen hatte. Aber er kannte sie. Er besaß ein paar alte Fotos, die sie im Brautgewand und im grauen Kimono der Kriegszeit zeigten.
    Ihr Blick war auf einen Punkt hinter und etwas oberhalb seines Kopfes fixiert. Staunen und Entsetzen krochen in ihren Gesichtsausdruck, und ein strahlendes Licht ließ sie so bleich wie Wachs aussehen. Sie öffnete den kleinen Mund und stieß einen lautlosen Schrei aus. Sie hob die Hände ans Gesicht, als wollte sie sich die Augen zerkratzen. Sie fiel auf das Gesicht, immer noch schreiend, immer noch stumm.
    Über die Drehbank hinweg hatte er die Hände nach ihr ausgestreckt, doch nur ein Wort ergriffen.
    In den Wochen und Monaten, die folgten, hatte er sie mehrmals gesehen. Die Szene war stets dieselbe; einmal allerdings war eine riesige Eidechse vorübergezogen, ohne auf die heimgesuchte Frau zu achten. Jedesmal versuchte Inoue, sie zu erreichen, sich an sie zu klammern. Jedesmal ergriff er nur das eine Wort.
    Er faltete die Hände über dem Foto und zwang sich, sich zu konzentrieren, glitt aber fort, das Wort murmelnd, den Namen, Tadashi, Tadashi …
     
    Tadashi zwängt sich ins Cockpit seiner Maschine. Stülpt sich den pelzgefütterten Helm über das kurzgeschnittene Haar. Winkt die Bodencrew aus dem Weg. Rollt an, gewinnt an Geschwindigkeit. Hebt ab. Steigt. Zieh das Fahrgestell ein. Steigt. Hör zu! Steigt. Dreitausend Fuß und immer höher. Der junge Shiizaki, Tadashis neuer Nebenmann, ist ein schlechter Pilot; man merkt seiner Maschine an, daß sie seine schwere Hand ablehnt. Tadashi verzieht ärgerlich das Gesicht und signalisiert Shiizaki, in Position zu bleiben. Siebentausend Fuß und immer noch höher. Hör mir zu! Achttausend Fuß. Neun. Tadashi verspürt einen stechenden Schmerz zwischen den Augen. Hör mir bitte zu! Er blinzelt ihn weg.
     
    Es hatte noch ein Jahr gedauert, bis Inoue den Mann Tadashi aufspürte. Der Lauf der Zeit war gewunden, tückisch. Inoue warf sich in seine Wasser und fand heraus, was es hieß, ein Mastodon gewesen zu sein und in einem Teertümpel zu ersticken. Er machte den Schrecken und den Todeskampf eines russischen Offiziers durch, der von aufständischen Soldaten in Stücke gerissen wird. Er war eine Cro-Magnon-Frau und unterlag Hunger und Kälte. Er kriegte Kinder. Er vergewaltigte und wurde vergewaltigt. Er enthauptete einen Mann. Er wurde gestreckt und gevierteilt. Er kannte Augenblicke des Friedens. Er aß eigenartige Speisen und sprach sonderbare Sprachen. Er liebte eine dreckige Sächsin und einen ranzigen spanischen Granden. Er warf sich wieder und wieder in die Wasser der Zeit und fühlte sich bei jedem sechsten oder siebten Versuch seinem Ziel näher, und dann endlich, dann …
    Tadashi zwängt sich ins Cockpit seiner Maschine. Stülpt sich den pelzgefütterten Helm über das kurzgeschnittene Haar. Winkt die Bodencrew aus dem Weg. Rollt an, gewinnt an Geschwindigkeit. Steigt. Steigt. Ist weg.
     
    Tadashi kreuzt in einer Höhe von siebentausend Fuß, er ist nervös am Steuer des veralteten Jägers vom Typ Zero-Sen. Die beinahe täglichen Luftangriffe, das scheinbar ununterbrochene Sirenengeheul und der ständig überstürzte Alarmstart zu den wartenden Flugzeugen fordern ihren Zoll. Er hatte in jüngster Zeit Schwierigkeiten, das Essen im Körper zu behalten, und davon gibt es kaum noch genug, als daß es auf diese Weise vergeudet werden könnte. Er hat immer Kopfschmerzen. Er hat zu viele Fehler in der Luft gemacht, hat Ziele verfehlt, seine Bordwaffen zu früh oder zu spät abgefeuert, immer, zu lange schon. Hinausgeworfene Munition, vergeudet
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