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Kommissar Pascha

Kommissar Pascha

Titel: Kommissar Pascha
Autoren: Su Turhan
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Erinnerungen an seine Kindheit durch den Kopf. Die Straßen Istanbuls. Der Bosporus. Gestank und Schmutz. Düfte und Lärm des Basars mittwochs in der Karadeniz Caddesi. Sein Onkel Aydin, der ihm mit acht Jahren die erste Zigarette in den Mund steckte. Der Weg zur Moschee an der Hand seines Vaters. Wo er als Junge ein kleiner Mann sein durfte. Tränen schossen ihm in die Augen. Wehmut packte ihn ohne einen Funken Gnade. Mit zitternder Hand holte er ein Stofftaschentuch aus dem Sakko und wischte sein Gesicht trocken, seine dunklen Augen mit den wuchtigen Augenbrauen. Verschämt schaute er nach links und rechts, er wollte nicht, dass ihn jemand in dem jämmerlichen Zustand sah.
    Dann plötzlich dachte er an Selma. Wie eine Injektion. Ein unvermittelter Stich durch den Anzug, sein Hemd, das Unterhemd, die behaarte Brust, durch die Haut, das Gewebe tief in sein Herz. Er spürte Selmas sanfte Zunge. Sie rieb sich an seiner in einer dunklen Gasse in Istanbuls Altstadt.
    Er wusste mit den Gefühlen, die ihn wegen eines verachtenden Blickes einer alten Frau übermannten, nichts anzufangen. Er brauchte dringend ein Stück alte Heimat, etwas, um sich zugehörig zu fühlen, damit er auch München wieder sein Zuhause nennen konnte.

[home]
    7
    K ommissar Pius Leipold stand neben dem dickleibigen Notarzt, der, etwa zweihundert Meter von der Surferbrücke entfernt, den Tod des nackten, schnauzbärtigen Mannes feststellte. Leipold spielte mit dem goldenen Ring in seinem rechten Ohr, ein untrügliches Zeichen dafür, dass er ein Problem witterte. Er mochte den Anblick von Leichen nicht sonderlich und war erfahren genug, um zu wissen, dass ein Mordfall wie der Eisbachtote viele Überstunden fordern würde. Und darauf war er nicht gerade versessen. Er zündete einen Zigarillo an und sah zu seinen beiden Freunden und Kollegen Herkamer und Stern. Sie führten die Befragungen mit den Surfern durch. Besser Surferin, dachte Leipold, die eine hatte lange blonde Haare, kein Wunder, dass sich Stern ins Zeug legte. Wahrscheinlich notierte er gerade ihre Telefonnummer, um sie am Abend anrufen zu können, falls er noch Fragen haben sollte. Stern war Junggeselle. Frauen zum Vögeln zu überreden war das einzige Hobby, das er ernsthaft betrieb. Pius Leipold holte sein uraltes Handy aus der Lederjacke und rief ihn an. Er beobachtete, wie Stern es drei Mal läuten ließ, bevor er den Anruf entgegennahm und sich nach ihm umdrehte.
    »Komm mal wegen der Leiche vorbei, ich kann das nicht ansehen, ehrlich«, sagte Leipold, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Trotz weiträumiger Absperrung und Einsatz von zwanzig Beamten harrten die Schaulustigen aus, um wenigstens einen kurzen Blick auf die Wasserleiche zu ergattern. Der illegale Bierverkäufer hielt keine hundert Meter von der Leiche entfernt Bierkästen im Eisbach kühl – er machte das Geschäft seines Lebens. Eine Handvoll Polizeireporter und Lokaljournalisten verlangten freien Zugang zur Leiche. Sanitäter versorgten zwei Zeugen, die in Ohnmacht gefallen waren. Leipold beobachtete eine Weile das Treiben und setzte sich dann müde in seinen Dienstwagen, der am Haus der Kunst parkte. Er dachte darüber nach, wie er den unliebsamen Fall loswerden könnte. Da es sich dem Augenschein nach bei der Leiche um einen Ausländer handelte, hoffte er darauf, dass sein verdienter Kollege, Kommissar Zeki Demirbilek, den Fall übernehmen würde. Er kannte den Türken seit fünf Jahren. Er mochte ihn nicht, warum auch? Der Kerl war eingebildet wie ein osmanischer Sultan, hatte ständig ein Schneuztuch in der Hand und war für einen Kriminaler mit seinem Anzug eine zu elegante Erscheinung. Sie sind überall, die Ausländer, hatte er in letzter Zeit festgestellt. Wenn er morgens beim Bäcker den Milchkaffee holte, grinste ihn der erste freundlich an. Und wehe, es stand einer ihresgleichen an der Kasse. Dann wechselten sie die Sprache und faselten Belanglosigkeiten, die er nicht verstand. Einfach so die Sprache wechseln zu können, war Pius Leipold nicht geheuer. Er hatte nicht mal richtig Englisch gelernt, überlegte er und schnippte seinen halbgerauchten Zigarillo aus dem Autofenster. Kassierer beim Discount-Bäcker mochte ja für einen Türken eine angemessene Stellung sein, aber Kommissar mit eigenem Dezernat? Das war Pius Leipold zu viel an Integration. Natürlich wusste er, dass der türkische Kommissar ein guter, gewissenhafter Ermittler war, er hatte es über den mittleren Dienstweg weit gebracht. Außerdem soll
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