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Kommissar Pascha

Kommissar Pascha

Titel: Kommissar Pascha
Autoren: Su Turhan
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war ursprünglich die Idee ihres Paartherapeuten gewesen. Bei dem von ihm angeregten Scheidungsinformationsgespräch sollten Frederike und er erfahren, dass Scheidung ein schmutziges Geschäft war. Ein drastischer Griff in die psychotherapeutische Trickkiste, um die verkorkste Ehe zu retten. Zeki konnte den eingebildeten Schnellredner mit dem juristischen Duktus vom ersten Moment an nicht leiden und sagte es ihm auf den Kopf zu. Frederike dagegen hatte Gefallen an dem Experten gefunden und engagierte ihn. Die Scheidung von Frederike Schubert und Zeki Demirbilek war nach dem paartherapeutischen Termin beschlossene Sache.
    Demirbilek blieb ein weiteres Mal stehen. Gerade rechtzeitig, um nicht in einen Hundehaufen mitten auf dem Bürgersteig zu treten. Das Innenfutter seines grauen Anzugs rieb an dem weißen Hemd, als er sich suchend umblickte. Kein Hund weit und breit. Kein Frauchen oder Herrchen. Der Geruch war frisch. Angeekelt passierte Demirbilek die Stelle und erblickte eine um die siebzig Jahre alte Frau mit altmodischem Kopftuch, das ihr verschrumpeltes Gesicht fast zur Gänze verdeckte. Sie hockte im Schneidersitz auf dem Bürgersteig. Mit wirrem Blick starrte sie ihren Dackel an, der mit dem Kopf in ihrem Schoß lag. Demirbilek registrierte aus den Augenwinkeln die neugierigen Blicke der Passanten auf der anderen Straßenseite, doch niemand machte Anstalten, der Frau beizustehen.
    »Weg, sag ich! Lassen Sie mich in Ruhe!«, schrie sie den Kommissar an, der sich zu ihr beugte, um ihr aufzuhelfen. Der Dackel kläffte mit piepsigen Lauten, als wäre er dem Wahnsinn nahe. Demirbileks unerschütterlicher Glaube an die Richtigkeit seines Tuns ließ ihn weitermachen. Mit ruhigen Worten redete er auf die alte Frau ein, das dazwischengeschobene »Halt’s Maul« dem Dackel gegenüber ließ die Situation jedoch eskalieren. Das Hündchen bekam es mit der Angst zu tun und nahm mit der Leine, die an der Handtasche der alten Frau hing, Reißaus. Nun schrie die alte Frau erst recht aus vollem Halse. Schnappte nach Luft und fixierte in Todesangst den dunkelhaarigen Mann: »Polizei! Polizei! Der hat meine Handtasche gestohlen! Ein Räuber! Helft mir! Polizei!« Demirbilek hielt besänftigend seinen Dienstausweis vor ihre angsterfüllten Augen, woraufhin die Alte noch verwirrter als vorher in Demirbileks Gesicht sah und weiterkreischte.
    Demirbilek steckte ratlos seinen Dienstausweis wieder ein und ließ die Frau sitzen. Warum passierte ihm das immer wieder? Warum nur?, fragte er sich wütend. Er kannte diese Wut, seit er nach Deutschland gekommen war. Immer wieder holte ihn seine Herkunft ein. Er hatte es aber satt, sich zu rechtfertigen und klarzustellen, dass es zwei Welten in ihm gab. Mal war es der Türke in ihm, der sein Recht forderte, mal gewann der Münchner die Oberhand.
    Plötzlich klingelte sein Handy. Frederike. Natürlich wollte sie wissen, wo er blieb. In seiner Wut wollte er nicht mit ihr reden. Er lief los, gehetzt, als wäre er auf der Flucht. Er versuchte, seine Umwelt, die Menschen, die Straßen, die Läden, alles, was ihn an das Hier und Jetzt erinnerte, zu ignorieren. Nach zehn Minuten erreichte er einen kleinen Park mit einem Brunnen in der Mitte. Hier war es ruhig. Er setzte sich auf eine Bank und schaltete das Handy aus. Dann dachte er an das angstverzerrte Gesicht der alten Frau, rekapitulierte, dass sie echte Todesangst vor ihm gehabt hatte, als er helfen wollte. Wegen seines Aussehens. Dunkel und schwarzhaarig. Anders als die anderen und bestimmt kein Polizist. Sie konnte nicht glauben, dass er sich für Gesetz und Ordnung einsetzte, für die deutschen Gesetze und die deutsche Ordnung.
    Sein Blick wanderte den Brunnen hoch. Er erkannte das Münchner Kindl, Münchens Wappenfigur. Die Stadt, die er als sein Zuhause empfand. Er sah genauer hin. Stutzte. Dann verstand er, was für eine Bewegung der Mönch in seiner schwarzen Kutte und den roten Schuhen machte. Er stieg mit einem großen Schritt aus dem Wappen heraus.
    Sein Herz hämmerte wild. Es tat weh. Pochte und trommelte viele Augenblicke lang. Dann verflog der Schmerz genauso schnell, wie er gekommen war. Es ist Zeit, wurde Zeki auf einen Schlag bewusst. Scheiß auf Deutschland. Scheiß auf München. Mach mit all dem Rotz, der dich so nervt, Schluss. Wirf alles hin. Fang neu an. Geh weg. Geh zurück. Zurück?, fragte er sich verängstigt. Was bedeutet zurück? Nach Neuperlach? Nach Istanbul? Bei dem Gedanken an seine Geburtsstadt jagten
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