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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder
Autoren: Jeff Lindsay
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sie auf.
    Sie verdrehte die Augen. »Oh,
bi-hiiite
«, stöhnte sie.
    Ich lächelte Rita an. »Siehst du? Sie ist zehn Jahre alt. Sie kann überhaupt nichts respektvoll sagen.«
    »Nun, ja, aber …«, stotterte Rita.
    »Es ist okay. Sie sind okay«, sagte ich. »Aber Paris …«
    »Lass uns rausgehen«, sagte Cody, und ich starrte ihn überrascht an. Fünf Silben – für ihn praktisch eine Rede.
    »In Ordnung«, sagte Rita. »Wenn du wirklich denkst …«
    »Ich denke fast nie«, sagte ich. »Es behindert die geistigen Abläufe.«
    »Das ergibt keinen Sinn«, sagte Astor.
    »Es muss auch keinen Sinn ergeben. Es ist wahr«, erwiderte ich.
    Cody schüttelte den Kopf. »Dosentreten«, sagte er. Und statt seinen Anfall von Redseligkeit zu unterbrechen folgte ich ihm einfach hinaus in den Garten.

[home]
    2
    D och selbstverständlich war das Leben trotz Ritas sich entfaltender grandioser Pläne nicht nur Erdbeeren und Glückseligkeit. Eine Menge Arbeit lag an. Und da Dexter vor allen Dingen äußerst gewissenhaft ist, hatte ich sie erledigt. Ich hatte die vergangenen beiden Wochen damit verbracht, die letzten Pinselstriche auf eine nagelneue Leinwand zu setzen. Der junge Mann, der mir als Inspiration diente, hatte eine Menge Geld geerbt und es anscheinend zu der Sorte haarsträubender mörderischer Eskapaden genutzt, die mich wünschen ließen, ich wäre reich. Alexander Macauley lautete sein Name, aber er nannte sich »Zander«, was mir irgendwie spießig schien, aber vielleicht sollte es das ja auch. Er war ein waschechter Berufserbe, jemand, der noch nie ernsthaft gearbeitet hatte und sich von ganzem Herzen den leichtherzigen Vergnügungen hingab, die mein kleines Herz zum Klopfen bringen würden, hätte Zander nur einen unwesentlich besseren Geschmack in der Auswahl seiner Opfer bewiesen.
    Das Geld der Macauleys gründete sich auf riesige Viehherden, endlose Zitrushaine und die Verklappung von Phosphaten in den Lake Okeechobee. Zander tauchte in regelmäßigen Abständen in den Armenvierteln der Stadt auf, um seine großzügigen Gaben über die städtischen Obdachlosen zu ergießen. Und die wenigen Auserwählten, die er zu ermutigen wünschte, nahm er wohl mit auf die Familienranch und gab ihnen eine Anstellung, wie ich einem rührseligen und schwärmerischen Zeitungsartikel entnahm.
    Selbstverständlich findet wohltätige Gesinnung stets Dexters Beifall. Doch grundsätzlich bin ich vor allem deshalb von ihr angetan, weil sie fast immer ein Warnsignal dafür ist, dass sich hinter der Maske der Mutter Teresa ein ruchloses, böses und ausgelassenes Etwas verbirgt. Natürlich hege ich keinen Zweifel, dass irgendwo in den Tiefen des menschlichen Herzens wirklich und wahrhaftig der Geist gütiger und sorgender Wohltätigkeit lebt, Hand in Hand mit der Nächstenliebe. Selbstverständlich tut er das. Ich meine, ich bin sicher, dass er irgendwo da drin existiert. Ich habe ihn nur noch nie gesehen. Und da es mir sowohl an Menschlichkeit wie an echtem Herzen mangelt, bin ich gezwungen, mich auf meine Beobachtungen zu verlassen, die mir verraten, dass Wohltätigkeit zu Hause beginnt und fast immer auch dort endet.
    Begegne ich also einem jungen, wohlhabenden, attraktiven und ansonsten normal scheinenden Mann, der seine Güter an die gemeinen Geknechteten dieser Welt verschwendet, fällt es mir schwer, diesen Altruismus als echt zu akzeptieren, gleichgültig, wie schön er präsentiert wird. Immerhin bin ich selbst ziemlich gut darin, ein charmantes und unschuldiges Bild meiner selbst zu präsentieren, und wir wissen doch, wie akkurat das ist, nicht wahr?
    Zum Glück für meine konsequente Weltanschauung bildete Zander keine Ausnahme – er war nur wesentlich reicher. Und das geerbte Vermögen hatte ihn ein wenig nachlässig werden lassen. Denn in den akribischen Steuerunterlagen, die ich ausgegraben hatte, tauchte die Familienranch als leerstehend und brachliegend auf, was eindeutig besagte, wohin auch immer er seine lieben, schmutzigen Freunde brachte, er führte sie nicht in ein gesundes und glückliches Leben als Landarbeiter.
    Des Weiteren kam mir entgegen, dass sie, wohin auch immer sie ihren neuen Freund Zander begleiteten, es barfuß taten. In einem besonderen Zimmer seines reizenden Heims in Coral Gables, geschützt von einigen sehr komplizierten und teuer wirkenden Schlössern, die zu knacken mich fast fünf Minuten gekostet hatte, bewahrte Zander einige Souvenirs auf. Für ein Ungeheuer ein närrisches Risiko;
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