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Komm her, Kleiner

Komm her, Kleiner

Titel: Komm her, Kleiner
Autoren: Lola Lindberg
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den sie durch das schmiedeeiserne Gitter des Zufahrtstors überblicken konnte, zeigte deutliche Ansätze, wieder zur Wildnis zu mutieren. Doch davon abgesehen: ein Traum! Ein absoluter Traum.
    Vor ihrem inneren Auge lief bereits im Schnelldurchlauf die Renovierung ab, die Gartenbaufirma rodete die zu mächtigen Rhododendren und beschnitt die Kamelien – jetzt musste sie sich allerdings noch vom Zustand im Inneren ein Bild machen.
    Direkt neben dem bronzenen Klingelknopf bewies ein mit Computer geschriebenes DIN-A4-Blatt in Plastikhülle, dass Graziella sie zu Recht alarmiert hatte. Vendesi …Aber keine Adresse oder Telefonnummer, die einen Hinweis auf Verkäufer oder Maklerbüro gegeben hätte. Seltsam!
    Zögernd, aber magisch angezogen, drückte sie auf den abgegriffenen Bronzeknopf. Ganz entfernt und gedämpft hörte sie die melodische Klangfolge.
    Nichts geschah.
    Etwas unmutig drückte sie nochmals, diesmal ein wenig länger. Und auf einmal schwangen die beiden Torflügel auf – langsam, ruckend, in den rostigen Angeln wie aus Protest quietschend.
    Der Kiesweg zur portalgesäumten Eingangstür war vermutlich seit Jahren nicht mehr gesäubert worden und deshalb von mehrjährigen Schichten abgestorbener Blätter bedeckt. Der Regen der vergangenen Tage hatte sie weich und rutschig gemacht. Bei jedem vorsichtigen Schritt versanken ihre teuren Wildlederpumps viel zu tief im modrig-schimmelig riechenden Untergrund.
    Die 20 Meter erforderten ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit, und so wäre sie vor Schreck fast doch gestolpert, als unmittelbar die Tür aufging.
    „ Scusi, Signora, ich habe das Klingeln zwar gehört, stand aber gerade auf der Leiter. Was kann ich für Sie tun?“
    Die Einfahrt fegen! Laura verkniff sich jede bissige Bemerkung, die ihr überhaupt viel zu leicht herausrutschte. Sie wollte etwas von ihm, nicht wahr? Vorsichtig balancierend stieg sie, betont anmutig mit ihrem besten Model-Hüftschwung, die Stufen hinauf und strahlte den Mann an.
    „ Buona sera, Signor. Ich interessiere mich für dieses Anwesen. Können Sie mir sagen, an wen ich mich da wenden muss?“
    Weiße Zähne blitzten zwischen dunklen Bartstoppeln auf. „Vermutlich an mich! Soviel ich weiß, bin ich, nein, war ich der einzige Neffe von Tante Giusy. Leider. Jetzt hängt der alte Kasten mitsamt dem ganzen Ärger an mir.“
    Das wurde ja immer besser!
    „Mein Name ist Laura Bragato, ich bin Immobilienmaklerin. Es dürfte kaum Probleme geben, Ihnen den Ärger abzunehmen und Ihr Haus gut zu verkaufen, wenn wir uns einigen. Natürlich müsste ich es noch von innen sehen …“
    Leichtes Stirnrunzeln. War sie zu forsch gewesen?
    „Angenehm, Stefano Clerici. – Wissen Sie, irgendwie ist das schon komisch! Da stehe ich gerade auf der Leiter und denke, was ich jetzt wohl als Nächstes tun sollte, wäre, einen Makler zu beauftragen – und Simsalabim: Da stehen Sie vor der Tür. Seltsame Zufälle gibt es, nicht wahr?“
    „Zufall schon, aber so seltsam ist es nicht. Eine Freundin sah Ihr Verkaufsschild und sagte mir Bescheid. Aber vielleicht sollte ich Ihnen die Idee mit dem Schicksal nicht ausreden, wenn ich Sie damit eher überzeugen kann, es mir zu überlassen.“
    Er war unüberhörbar amüsiert.
    „Sie gefallen mir! Bitte, kommen Sie doch herein!“
    Die schwere Tür fiel hinter ihnen ins Schloss, und das Haus umfing sie mit seiner ganz eigenen Atmosphäre. Ein leichter Hauch von Lavendel und Bienenwachs lag unter der erstickenden Kopfnote aus Verfall und Vernachlässigung in der Luft. Altmodisch und unbewusst vertraut.
    „Oben sind drei Zimmer und zwei Bäder, hier unten Salon, Esszimmer, Küche samt überproportionierter  Speisekammer und Bibliothek. Die hat Tante Giusy allerdings noch zu Lebzeiten ausgeplündert. Ein Jammer, die Bücher hätte ich gerne gehabt.“
    Laura interessierten vor allem die Leitungen. Sie schienen relativ neu. Wenn das Dach auch in Ordnung war …
    „Kommen Sie allein zurecht? Ich bin in der Küche gerade beschäftigt. Möchte nicht, dass mir etwas anbrennt. Wenn Sie so weit sind – immer der Nase nach!“
    Laura zwang sich, alles kritisch zu begutachten, wohl wissend, dass Liebe auf den ersten Blick oft mit einem bösen Erwachen bestraft wird. Aber sie fand keine ernsthaften Mängel. Perfekt, einfach perfekt!
    Träumerisch mit der Hand auf dem vom langen Gebrauch seidig polierten Holzgeländer entlangstreifend, stieg sie die Marmortreppe wieder hinunter. Sah sich schon auf den unteren Stufen
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