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Kojoten am Rio Grande (Western-Reihe 'Die Al Wolfson-Chroniken') (German Edition)

Kojoten am Rio Grande (Western-Reihe 'Die Al Wolfson-Chroniken') (German Edition)

Titel: Kojoten am Rio Grande (Western-Reihe 'Die Al Wolfson-Chroniken') (German Edition)
Autoren: Dirk Bongardt
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löste dann den Sattel und legte ihn mir als Kopfkissen zurecht. Die zusammengerollte Decke ließ ich am Sattel hängen, und fiel bald, die Winchester über dem Bauch und die rechte Hand am Abzug, in einen unruhigen, leichten Schlaf. Ich träumte wirr: Von Eliza, wie sie mir einen Strick um den Hals legte und dabei sagte „Du hattest einen fairen Prozess“. Von einem Steckbrief mit meinem Kopf darauf, tot oder lebendig, der im nächsten Augenblick die Form eines Grabsteins annahm. Von Luke Branaghan, wie er aus vielen Löchern blutend und wimmernd zusammenbrach. Dann wieder von Eliza, die einen kleinen blondgelockten Jungen auf dem Arm hielt und zu mir herüber reichte, aber als ich ihn nehmen wollte, löste er sich einfach in nichts auf. Man musste nicht der Prophet Daniel sein, um diese Träume zu deuten. Mein Kopf hatte Bilder zusammen gesponnen von dem, was war, was hätte sein können, und von dem, was nun niemals mehr sein würde.

Als der Himmel seine Farbe von schwarz in ein schmutziges Grau wechselte, schreckte ich auf. Tyler hatte wieder begonnen, zu schnauben und mit den Vorderhufen zu scharren. Der Vorteil unseres Verstecks wurde mir nun zum Nachteil: Dank des schmalen Zugangs konnte ich es leicht verteidigen. Aber um zu jagen, Wasser zu holen oder um bloß nachzusehen, was draußen vor sich ging, musste ich durch den selben schmalen Zugang. Wenn draußen jemand auf mich lauerte, hätte er ein leichtes Spiel.

    Ich erhob mich schwerfällig. Tyler prustete erneut und schüttelte den Kopf. Irgendetwas war nicht so, wie es sein sollte. Ich ging zu Tyler, um ihn zu beruhigen, und während ich seinen Hals streichelte und meine rechte Hand auf seine Nüstern legte, lauschte ich angestrengt. Das Rauschen des Rio Grande, der Wind, der draußen durch das Laub der Bäume strich, mehr war da nicht. Und genau das beunruhigte mich: Mit dem Anbrechen des Tages erwachten gewöhnlich auch die Vögel und machten einen Höllenlärm, aber jetzt war nicht einmal ein leises Zwitschern zu hören. Jemand, oder etwas, hatte sie vertrieben. Ich vergewisserte mich, dass die Winchester durchgeladen war, ging dann hinüber zu dem Felsen, der den Zugang zur Lichtung auf der rechten Seite flankierte, presste mich mit dem Rücken eng an diesen Felsen und schob mich Zoll für Zoll in Richtung Durchgang. Ein rhythmisches Knacken wie das von sich nähernden Schritten war zu hören. Es klang nicht nach Huftritten, eher als ob sich zwei oder mehr Männer zu Fuß näherten. Sie schienen nicht besonders bemüht zu sein, Geräusche zu vermeiden – wahrscheinlich ahnten sie nicht, wie nahe sie mir gekommen waren. Oder waren es gar nicht meine Verfolger? Trieben sich jetzt wieder Rothäute herum in diesem Gebiet? Die hätten mir gerade noch gefehlt zu meinem Glück.

    Dann sah ich ihn. Es war nur einer. Was ich für die Schritte mehrerer Männer gehalten hatte, war das Geräusch, das seine Tatzen machten, wenn er sich auf allen Vieren durch das Unterholz bewegte: Vielleicht fünfzig Fuß von dort, wo ich kauerte, strich ein riesiger Grizzly vorbei. Seine Körpermaße hätten einem Bison alle Ehre gemacht. Etwas, vermutlich Tyler oder ich, hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. Er hielt an, richtete sich auf und drehte den Kopf in verschiedene Richtungen. Ich musste bei dem Anblick unwillkürlich an den Riesen Goliath denken, von dem uns die Lehrerin in der Sonntagsschule erzählt hatte. Bloß, dass ein Steinwurf diesen Bären nicht umhauen würde. Und auch bei den Gewehrkugeln war ich mir nicht sicher. Klar, sie würden den Grizzly töten – aber bis das Leben aus ihm heraus war, hätte er mich längst in Stücke gerissen. Menschen stehen eigentlich nicht auf dem Speiseplan dieser Bären. Das beste war es also wohl, dort zu bleiben, wo ich war, und abzuwarten. Er sah jetzt genau in meine Richtung und schien mich mehr oder weniger interessiert zu beäugen.

    Mit einem Mal ließ der riesige Bär ein markerschütterndes Gebrüll hören. Ein Pfeil hatte ihn in die Seite getroffen, zwei Wimpernschläge später folgten ein zweiter und noch einen Augenblick später ein dritter. Wenn die Rothäute allerdings gedacht hatten, Bruder Bär auf diese Art in die ewigen Jagdgründe zu schicken, dann hatten sie sich getäuscht. Einen Menschen hätten diese Geschosse wohl durchbohrt, aber durch den Pelz und die schiere Muskelmasse hindurch erreichten die Pfeile keines der lebenswichtigen Organe des Grizzly. Was sie erreichten, war, dass er sehr, sehr wütend
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