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Kojoten am Rio Grande (Western-Reihe 'Die Al Wolfson-Chroniken') (German Edition)

Kojoten am Rio Grande (Western-Reihe 'Die Al Wolfson-Chroniken') (German Edition)

Titel: Kojoten am Rio Grande (Western-Reihe 'Die Al Wolfson-Chroniken') (German Edition)
Autoren: Dirk Bongardt
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Rothäute“, dachte ich zuerst. Doch dann kam ich darauf, dass das nicht stimmen konnte: Rothäute wollten mit den erbeuteten Skalps zeigen, was für tapfere Krieger sie waren. Eine Frau zu töten war selbst für diese Wilden keine Heldentat, und kein Krieger würde den Skalp einer Frau an seinen Gürtel hängen.

    Ich ging den Fluss noch ein Stück weiter hinauf. Ich roch sie, bevor ich sie sah: In einer Biegung des Rio Grande, in der die Strömung nicht all zu stark war, hatten sich wohl fünfzehn oder zwanzig aufgequollene Leichname verkeilt: Es waren Frauen dabei, kleine Kinder, alte Männer. Ihnen allen war die Kopfhaut weggeschnitten worden. Es sah nicht danach aus, als sei auch nur einer der Toten ein Krieger gewesen. Der Wind wehte den Verwesungsgestank genau zu mir hinüber, und ich erbrach mich, wo ich gerade stand.

    Für einen Augenblick war ich mir nicht mehr sicher: War ich wirklich aus der Zelle in Diggers Tomb entkommen? Oder war das nur eine Illusion gewesen, und sie hatten mich in Wahrheit aufgehängt, und ich war jetzt in der Hölle? Ich war ein Sünder gewesen, ein Spieler, einer, der die Frauen geliebt hatte, und den Whiskey. Kein schlimmer Sünder, dachte ich, aber vielleicht zu sehr ein Sünder, um in Gottes Glückseligkeit einzugehen, und deshalb war ich jetzt in einer Hölle, in der kein Feuer brannte, wo aber mich ein Grauen nach dem anderen erwartete. Widerwillig schüttelte ich den Kopf: Das hier mochte die Hölle sein, aber es war nicht meine Hölle, sondern die der armen Teufel, die dort im Wasser lagen. Ob Gott auch Heiden die Glückseligkeit schenkte? Selbst wenn nicht: So wie sie umgekommen waren, dürfte die Hölle im Jenseits für sie kaum schlimmer sein als ihre letzten Stunden im Diesseits.

    Ich machte Tyler los, saß auf, und ritt im Trab flussaufwärts. Nicht weit von hier musste der Ort sein, an dem die armen Teufel abgeschlachtet, skalpiert und in den Fluss geworfen worden waren. Erst oberhalb davon würde das Wasser wieder trinkbar sein. Mir war klar, dass ich damit Gefahr lief, den Teufeln zu begegnen, die das getan hatten, aber ich hatte keine andere Wahl: Flussabwärts erwarteten mich Rothäute, die Städte und Dörfer musste ich meiden, da dort wahrscheinlich Steckbriefe von mir hingen, und ohne Wasser die Prärie zu durchqueren, wäre ein Selbstmordunternehmen gewesen. Hier, wo der Tod schon reiche Ernte gehalten hatte, war meine Chance, am Leben zu bleiben, noch am besten. Ich lockerte meinen Revolvergurt: Sollte der Tod Nachlese halten wollen, wäre ich lieber sein Erntehelfer als sein Schnittgut.

    Ich war vielleicht zwei Meilen geritten, dann war ich mir sicher, den Ort des Massakers gefunden zu haben. Auf einer Fläche von vielleicht zweihundert Fuß Breite standen die niedergebrannten Reste dessen, was einst ein Indianerlager gewesen war. Die Zelte waren teils eingerissen, teils abgefackelt worden. Die Angreifer hatten sich nicht die Mühe gemacht, den Besitz der Rothäute zu plündern: Büffelfelle, Kochgeschirr, bunte Decken, auch ein paar kleine Puppen aus Fell, die mit Stroh gefüllt waren, lagen überall verteilt. An vielen Stellen zeugten große, braun verkrustete Flecken von dem Blut, das hier in die Erde gesickert war. Menschen sah ich keine, weder tote noch lebende. Die Asche war kalt, und auch die toten Rothäute, die ich zuvor gesehen hatte, schienen schon seit Tagen im Wasser gelegen zu haben.

    Tyler tänzelte. Er hatte recht, das hier war kein Ort, an dem man sich länger als unbedingt nötig aufhalten sollte. Ich ließ ihn weiter nach nordwärts traben, wo die Bäume wieder dichter standen. Vielleicht, dachte ich, war der Krieg zwischen den Indianern und wem auch immer ja schon fast vorbei: Die Krieger, denen ich flussabwärts entkommen war, mochten die letzten Überlebenden dieses Lagers gewesen sein. Sie würden dann zwar wohl nicht ruhen, bis sie Rache genommen oder bei dem Versuch gestorben waren, aber ich glaubte keinen Augenblick daran, dass die unerfahrenen jungen Krieger gegen Feinde, die mit solcher Grausamkeit töteten, auch nur die kleinste Chance hätten. Mir sollte es recht sein. Es war nicht mein Krieg, es waren nicht meine Leute, deren Leichen im Rio Grande verfaulten. Ich hatte meine eigenen Probleme.

    Inzwischen stand die Sonne höher am Himmel, und es wurde heiß. Ich hielt auf eine langgestreckte Gruppe hoher Pinien zu, um Tyler und mir etwas Schatten zu gönnen. Doch wir hatten die erste Pinie noch nicht ganz erreicht, als
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