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Kohlenstaub (German Edition)

Kohlenstaub (German Edition)

Titel: Kohlenstaub (German Edition)
Autoren: Anne-Kathrin Koppetsch
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leider
muss ich Sie enttäuschen. In punkto Polizeiarbeit habe ich keinerlei
Erfahrung.«
    »Vitell«, sagte
von Grabow nun, »haben Sie überhaupt keine Ahnung, mit wem Sie es da zu tun
haben? Wissen Sie, wie dieser Schurke von den Wachtmeistern und
Droschkenkutschern am Opernplatz genannt wird? Nein? Dann will ich es Ihnen
sagen. Man nennt ihn ›Don Quichotto‹.«
    »Dr. Sanftleben
soll ein Schurke sein?«, fragte Vitell ungläubig.
    Endlich begriff
Otto, was von Grabow so aufbrachte, aber er verspürte nicht die geringste Lust,
eine Grundsatzdiskussion zu führen. Der Vortrag war zu gut gelaufen. Er hatte
lange auf ihn hingearbeitet und wollte sich den Erfolg nun nicht verderben
lassen. »Das ist eine Sache zwischen mir und dem Kommissariat für Fuhrwesen und
geht Sie –«
    »Das sehe ich
völlig anders«, sagte von Grabow. »Ich sorge nämlich immer und überall dafür,
dass man radikalen Elementen wie Ihnen das Handwerk legt.«
    »Meine Herren«,
sagte Vitell und glättete nun mit beiden Händen seine Haare. »Ich bitte Sie!
Lassen Sie uns vernünftig sein und über den Kreuzigungsfall reden.«
    »Mit diesem
Subjekt nicht«, sagte von Grabow. »Dieser Mann ist trotz polizeilichen Verbots
achtundzwanzigmal – ich wiederhole: achtundzwanzigmal – von Wachtmeistern
aufgegriffen worden, als er Unter den Linden Fahrrad fuhr. Wobei Fahrrad fahren
nicht der richtige Ausdruck ist. Man sollte besser sagen: die Straße
hinunterraste, um sich dem Zugriff der Staatsmacht zu entziehen.«
    »Ist das
richtig?«, fragte Vitell.
    Otto unterdrückte
die in ihm aufsteigende Wut und machte sich bewusst, dass er nicht als
Einzelperson, sondern stellvertretend für alle Radsportler hier stand. Und
eigentlich sollte er nun besser einlenken, das wusste er. Trotzdem konnte er
sich eine kleine Provokation nicht verkneifen. »Um genau zu sein«, sagte er und
besah sich seinen Daumennagel, »waren es nicht achtundzwanzigmal, sondern
neunundzwanzigmal.«
    Von Grabow riss
die Augen auf. »Umso schlimmer! Denn jedes Mal wurde ihm ein Bußgeld auferlegt,
jedes Mal beglich er den Betrag sofort, jedes Mal wurde er ermahnt, nie wieder
Unter den Linden Fahrrad zu fahren, und jedes Mal brach er die Vorschrift aufs
Neue. Dieser Mann verspottet die Gesetzeshüter, er erhebt sich über Recht und
Ordnung, er ist ein Querulant ohnegleichen.«
    Otto kannte
Menschen wie von Grabow. Ständig mischten sie sich in Angelegenheiten, die sie
nichts angingen. Ständig verurteilten sie andere, um von den eigenen Fehlern
abzulenken. Auf keinen Fall wollte er klein beigeben, aber er wollte sich auch
nicht zu einer unbedachten Bemerkung hinreißen lassen, die er im Nachhinein
bereuen würde. Deshalb atmete er tief durch und sagte ruhig: »Ich weiß gar
nicht, warum Sie sich so aufregen. Ihnen muss doch klar sein, dass schon bald
alle Straßen von Berlin mit Fahrradfahrern bevölkert sein werden. Niemand –
auch Sie nicht – kann den Fortschritt aufhalten.«
    »Sie sind nicht
nur ein Querulant, sondern Ihnen und Ihresgleichen ist nichts heilig«, platzte
von Grabow heraus. »Die Radfahrer stören das sittliche Empfinden jedes
anständigen Christenmenschen. Die Betonung der Körperlichkeit geziemt sich
nicht. Und stellen Sie sich nur vor, Vitell, unsere Ehefrauen kämen auf die
Idee, auf diesen Vehikeln zu fahren. Mit ihren intimsten Stellen würden sie auf
dem Sattel hin- und herrutschen und lustvolle Empfindungen verspüren, die sie
in einen Zustand der –«
    »Herr
Kriminaldirigent«, unterbrach ihn Vitell, »Sie vergessen sich ja!«
    »Keineswegs«,
erwiderte von Grabow. »Ich bin vielmehr der Einzige, der die Gefahr erkennt.
Diese Fahrräder sind Ungetüme aus Stahl und Blech, die die Sittlichkeit
untergraben. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie unsere Straßen bevölkern. Wir
müssen diese Bewegung bekämpfen, und zwar mit allen Mitteln.« Von Grabow holte
tief Luft und bohrte seinen Zeigefinger in Ottos Schulter. »Damit Sie es
wissen: In meiner Abteilung haben Leute wie Sie keinen Platz. Und wenn Sie noch
einmal Unter den Linden aufgegriffen werden, hilft kein Gerede mehr. Dann
landen Sie im Gefängnis. Dafür sorge ich höchstpersönlich.«

In der Arztpraxis, zwanzig Jahre nach Courcelles
    Am nächsten Morgen
krabbelten Kakerlaken über seine Haut und drängten sich in seinen Anus, um ihn
von innen zu zerfleischen. Er konnte die Spannung kaum noch ertragen, aber wenn
er sich hier, vor der Stadtvilla in der Kurfürstenstraße, die Kleider vom
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