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Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter
Autoren: Leben oder gelebt werden
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durch die Lande zogen, um
tendenziell allgegenwärtig zu sein und durch persönliche Präsenz ihre
Führungsposition immer wieder neu zu bestätigen. Das auf die eigene Persönlichkeit
zugeschnittene Beziehungsnetz bildet das Epizentrum der eigenen Macht, seine
Ausdehnung und Festigkeit definiert die Grenzen der Kontrollzone, in der sich
diese Macht entfalten kann. Nur durch diese gesicherte äußere Basis kann das
persönliche innere Wohl gedeihen, kann das lebenswichtige Gefühl der eigenen
Sicherheit sich entwickeln.
    In seinem
Verlangen nach Sicherheit spielen auch Frauen eine große Rolle im Leben meines
Vaters. Eine »väterliche Weisheit«, die er mir als Heranwachsendem immer wieder
deutlich machte, war, dass man Frauen mehr vertrauen könne als Männern. Denn,
so sagte er mir dann, wenn sich eine Frau einmal für eine Person oder eine
Sache innerlich entschieden habe, sei es ihr auch ein echtes Herzensanliegen.
Dann würde sie viel besser kämpfen und mehr leiden können als ein Mann.
    Offizielle
Biografien beschreiben meine Mutter als die »Frau in seinem Schatten«, als »die
Frau hinter dem Mann«. Diese Darstellung ist meiner Meinung nach nur teilweise
richtig, weil unvollständig. Sie unterschätzt den Einfluss meiner Mutter auf
ihren Mann. Sie war für ihn ein Kraftwerk, das ihm Energie zur Verfügung
stellte. Sie war der Hort einer wie verzweifelt verlangten und in der Ehe auch
tief gefühlten Sicherheit. Diese Ehe lebte vor allem auch davon, dass
Hannelore in seinen Augen der erste Kohlianer war. Sie unterwarf sich
vollständig seinen Zielen und diente seinem Aufstieg ihr Leben lang. Die
politische Karriere meines Vaters wäre ohne meine Mutter nicht denkbar gewesen.
Mutter war nicht nur seine Ehefrau und Familienmanagerin. Sie fungierte als Mitorganisatorin
von Wahlkämpfen, sie sorgte dafür, dass er alle notwendigen Requisiten an jedem
Ort stets zur Verfügung hatte, wie für einen Schauspieler vor dem Gang auf die
Bühne. Als Vertraute, Ratgeberin und Sympathieträgerin leistete sie ihm
unschätzbare Dienste. Er selbst sorgte stets dafür, dass Bewerber für wichtige
Positionen in diskreter Weise zuallererst von ihr geprüft wurden. Ihre
Stilsicherheit, Weltläufigkeit und Trittfestigkeit auf diplomatischem Parkett
bildeten mehr als einen willkommenen Gegenpol zu seiner eigenen Bärbeißigkeit.
Legendär ist die Sottise anonymer Herkunft, das Beste an diesem Kanzler sei
seine Frau.
    Während
ihrer Krankheit hat er sehr mitgelitten. Die dadurch entstehende Situation
verunsicherte ihn tief. Er konnte überhaupt nicht damit umgehen, dass seine
größte Stütze wankte und schließlich gänzlich ausfiel. Dazu muss man wissen,
welches Verhältnis Helmut Kohl zu den praktischen Dingen des täglichen Lebens
hat. Ob er dafür vollkommen unbegabt war oder sich zeitlebens nur nicht darum
kümmern wollte, möchte ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls überließ er
alle Aufgaben im Bereich alltäglicher und langfristiger Daseinsfürsorge unserer
Mutter. Nicht selten klagte diese darüber, aber kurz darauf half sie ihm schon
wieder aus. Er schien seine Hilflosigkeit, wenn er gute Laune hatte, manchmal
nicht ungern zu zelebrieren. Dann stellte er sich auf charmante Weise derart
ungeschickt an, dass man gar nicht anders konnte, als ihm aus der Patsche zu
helfen.
    Das konnte
mitunter sogar ganz unterhaltsam sein. Ich erinnere mich einer Autofahrt mit
ihm allein, während meiner Schulzeit, zum Bahnhof in Ludwigshafen. Es war wohl
eines der wenigen Male überhaupt, dass ich ihn hinter dem Steuer gesehen habe.
Obwohl es nur ein paar Kilometer waren, benötigten wir doch sehr viel Glück,
dass unser Ausflug ohne Schaden endete. Ich glaube, dass mein Vater in den
letzten 30 Jahren keine zehn Kilometer selbst am Steuer eines Wagens saß, wohl
aber Hunderttausende von Kilometern im Auto mit Chauffeur zurücklegte.
    Als ich
nach Mutters Tod vorübergehend die Rolle des Assistenten übernommen hatte,
überschritt ich einmal eine Grenze. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, ihn an
die Benutzung eines Faxgerätes gewöhnen zu wollen. Es ist mir schlecht
bekommen. Am Ende mussten andere den »Apparat« bedienen, auch wenn dies
erhebliche Umstände verursachte.
    Als in der
zweiten Hälfte der 1990er-Jahre die Leistungsfähigkeit der zentralen
Kümmerinstanz Hannelore krankheitshalber nachließ und schließlich ganz
versiegte, musste das entstandene Vakuum gefüllt werden. Am Ende wäre dem
einst mächtigsten Mann des Landes
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