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Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter
Autoren: Leben oder gelebt werden
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Öffnung zu gehen. Ohne
Selbstüberwindung hätte ich die Rede in Ludwigshafen abgelehnt. Aber erst die
Rede selbst wurde für mich zum Akt der inneren Öffnung. Danach konnte ich nie
mehr voll und ganz in meine alte Opferhaltung zurück. Die Qualität unserer
Öffnung wird bestimmt durch das Maß unserer inneren Ehrlichkeit. Dies erlebte
ich, als ich mein Redemanuskript beiseitelegte und mein Herz sprechen ließ. Es
war für mich, ich kann es nicht anders nennen, auch ein Moment der Gnade, ein
befreiendes Geschenk.
    Unsere
innere Öffnung für neue Sichtweisen, wenn sie wirklich ehrlich und nachhaltig
sind, kann uns fast magische Kräfte verleihen. Mit einem Mal fliegen einem
Dinge zu, denen man früher vergeblich nachgelaufen ist. Der berühmte Knoten
ist geplatzt! Ob dies Teil der Gnade ist, die man erfährt, oder, nüchtern betrachtet,
eine Befreiung der eigenen Wahrnehmung aus den Fesseln des Schubladendenkens
und des Vorurteils, sei dahingestellt. Vielleicht ist es so, dass man jetzt
einfach Chancen wahrnimmt, die man zuvor geflissentlich übersehen hat.
Vielleicht aber wirkt tatsächlich eine Kraft von innen nach außen, die Neues in
unser Leben zieht: Seien es bisher unbekannte Menschen, die uns weiterbringen,
seien es ungeahnte Chancen, die sich uns jetzt anbieten.
    Eine
französische Lebensweisheit besagt: Accepter, c'est toterer! - Akzeptieren heißt zu tolerieren. Man könnte auch sagen: Etwas
anzunehmen heißt, sich damit zu versöhnen. Wer das Unveränderliche annimmt, wer
es zu akzeptieren vermag, der lebt leichter, weil er sich selbst von einer
großen Last befreit hat. Ich will nicht zu sehr ins Allgemeine gehen, sondern
bei mir selbst bleiben. Schließlich habe ich mich darauf eingelassen, meinen
eigenen Weg zur Versöhnung zu beschreiben.
    Nach
meinem Ludwigshafener Auftritt war es fast selbstverständlich, dass ich mich
nun in die Tätigkeit der Stiftung einbringen würde. Ich begann die Dinge so zu
akzeptieren, wie sie nun einmal waren, ich spürte, dass nun wirklich auch in
puncto Öffentlichkeit - für mich immer ein Reizthema - Normalität einkehren
müsste. Ich fühle mich dem geistigen Erbe meiner Mutter verpflichtet. Warum
sollte ich nicht endlich über meinen Schatten springen und daran mittun, ihr
Lebenswerk fortzusetzen?
    So ergab
es sich, dass ich Vorsitzender des Kuratoriums der Hannelore-Kohl-Stiftung
wurde. Gemeinsam mit Menschen, die noch mit ihr selbst arbeiteten, aber auch
mit Menschen, die später zur Stiftung gestoßen sind, wirke ich seitdem daran
mit, dass ihr Vermächtnis fortlebt und gemäß den Anforderungen der Zeit
weiterentwickelt wird. Diese Tätigkeit wurde zu einem wichtigen Teil meines
eigenen Weges, denn sie berührt meine inneren Wurzeln und meine Identität.
Nicht zuletzt dadurch lernte ich mit meiner Trauer so umzugehen, wie ich es
oben beschrieben habe, und die überlange »Trauerphase« endlich abzuschließen.
Jetzt, da ich dies schreibe, ist es fast zehn Jahre her, dass meine Mutter
starb. Dieses Ereignis ist ein Teil meines Lebens geworden, mit dem ich ruhig
und gelassen umgehen kann. »Das hat aber lange gedauert«, mag mancher sagen.
Ja, das hat es. Aber es ist, wie es ist, und es ist gut - so, wie es ist.
 
Versöhnung mit dem »Sohn vom Kohl«
     
    Eines
Tages im Mai 2008 fand ich ein Telegramm im Briefkasten. Ich war verblüfft.
Ein Telegramm! Ich wusste gar nicht, dass es so etwas noch gab. Verwundert
blickte ich auf den Umschlag und konnte mir zunächst keinen rechten Reim darauf
machen. Doch dann sah ich den Absender: Helmut Kohl und Maike Kohl-Richter. Mir
wurde sogleich klar, dass durch die Wahl dieses speziellen
Kommunikationsmittels eine einmalige, abschließende Information gegeben wurde.
Eine Tatsache war geschaffen worden. Sie war final und nicht mehr zu
diskutieren. Eine Feinheit, die ich sehr wohl verstand - und offenbar auch als
solche verstehen sollte. Der Inhalt der Botschaft war dann nur noch eine
Formalität:
    Heidelberg,
8. Mai 2008. Wir haben geheiratet. Wir sind sehr glücklich. Maike Kohl-Richter
und Helmut Kohl.
    Es war nur
wenige Wochen nach Vaters schwerem Sturz zu Hause in Oggersheim.
Selbstverständlich hatten mein Bruder, ich selbst und auch unsere Familien ihn
regelmäßig und oft im Krankenhaus besucht. In der damaligen Krise wurde nie
konkret von einer bevorstehenden Hochzeit gesprochen. Es ging vielmehr darum,
wie ihm mit vereinten Kräften am besten geholfen werden konnte, möglichst
schnell wieder auf die Beine zu
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